Bilanz eines Bürgerkomitees

■ Offene Türen bei der Stasi / Zig Tonnen Geheimakten gesichtet

Zu spät gekommen. Ständig in der Arbeit behindert. Hintergangen. Und nun vom neuen zuständigen Minister Diestel von der DSU - für überflüssig erklärt. Das ist - auf eine knappe Formel gebracht - die nüchterne Bilanz des Bürgerkomitees zur Auflösung der Stasi.

Am Mittwoch hatte es in die frühere Zentrale in die Berliner Normannenstraße zum Bürgerforum geladen. Und die Bürger kamen. Tag der offenen Tür bei der Stasi: Wann gab es das schon? Der Saal war übervoll. Die Stimmung gereizt. Immer wieder entluden sich Gewitter von Unmut, Empörung, Zwischenrufen, aber auch Zustimmung und Ermunterung.

Erstes Hohngelächter: Bis zu dem Tag, an dem das Komitee endlich! - seine Arbeit aufgenommen hatte, bis Mitte Januar also, habe die Stasi Zeit gehabt, sich selbst aufzulösen. Und so habe man bei „Amtsantritt“ viele Unterlagen nur noch

-in tausende Säcke gestopft - vorvernichtet vorgefunden. Beweismaterial gegen die Hauptschuldigen sei mit Sicherheit verschwunden. Die Schlüsselgewalt liege heute noch bei Leuten, die früher Mitarbeiter der Stasi waren. Das Komitee habe immer nur kontrollierende Funktion gehabt. Sei im übrigen zahlenmäßig zu schwach besetzt gewesen und habe nie Zeit gehabt, sich in die Materie einzuarbeiten.

Immerhin haben die Geheimdienst-Laien dabei mitgeholfen, zig Tonnen Aktenmaterials zu sichern. Darunter fünf bis sechs Millionen Dossiers über bespitzelte Bürger. Das alles soll nun im früheren Archiv bewahrt und später von Historikern aufgearbeitet werden. Bis zum 31. März waren alle Stasi-Mitarbeiter - bis auf wenige Ausnahmen entlassen. Und die meisten Gebäude sind vergeben. Ein großer Teil derer in der Normannenstraße zum Beispiel an die Deutsche Reichsbahn.

30 bis 40 Prozent der Entlassenen sind nach wie vor arbeitslos. Das schafft, so der Koordinator des Komitees, David Gill, Frustration. Und ein nicht zu unterschätzendes Gewalt-Potential. So ist nicht auszuschließen, daß sich kleinere Gruppen von früheren Stasi-Leuten im Untergrund sammeln und auf Rache sinnen.

Eine weitere Gefahr sieht das Komitee darin, daß relativ viel Stasi-Personal und Technik, darunter komplette kleine Einheiten, zum MdI und zur Deutschen Post übergewechselt sind. Auszuschließen sei also nicht, daß weiter abgehört werde. Als Ganzes aber könne der alte Apparat nicht mehr arbeiten. Schon deshalb nicht, weil der Auftraggeber - die frühere SED-Führung - fehle.

Jetzt muß nach Überzeugung des Komitees aufgearbeitet werden. Es gelte, die Verantwortlichen zur Verantwortung zu ziehen. Zu ruhig sei es in dieser Beziehung um den früheren SED- und Staatsapparat geworden. Aufarbeiten aber müsse auch jeder seine eigene Geschichte. Nach Erkenntnissen des Komitees sei nämlich der größte Teil des Volkes durchaus bereit gewesen, Informationen zu geben. Und, so David Gill: „Ein Volk, das duldet und schweigt, gehört dazu!“

Dietmar Halbhuber