piwik no script img

Fürs grüne Vereinsblättle

■ betr.: (ggf. in Anlehnung!) "Austritt: Ex-Grüne auf Negationskurs", taz v. 9.4.90

Betr.: (ggf. in Anlehnung!) „Austritt: Ex-Grüne auf Negationskurs“, taz v. 9.4.90

An die Linken bei den Grünen

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

nach dem Austritt etlicher Linkern aus den Grünen am Wochenende ist es für die Zurückgebliebenen (!?! - d.s.in) wieder ein Stück schwerer geworden, dabeizubleiben und die nötige Kraft aufzubringen für eine Weiterarbeit in dieser Partei. Ich verstehe, daß angesichts der drohenden Übernahme der DDR durch die BRD, der unkritischen Lobeshymnen von großen Teilen der Bevölkerung auf die Marktwirtschaft und all ihrer Errungenschaften bei gleichzeitiger fast völliger Ignorierung der durch die hemmungslose Ausbeutung und Verpestung der natürlichen Ressourcen auf der ganzen Welt entstandenen irreparablen Schäden an Mensch und Umwelt, der politische Kampf für alle Andersdenkenden nicht leicht fällt, vor allem wenn Teile der eigenen Partei in diesen komfortabel erscheinenden Zug einsteigen und alles daransetzen, den kritischen Stimmen in den Grünen den Boden zu entziehen. Aber erstens einmal weiß auch ein Joschka Fischer ganz genau, daß der verbleibende Rest nach einem Rausschmiß der radikalen Feministinnen, ÖkologInnen und FriedenskämpferInnen zur Bedeutungslosigkeit verdammt wäre, und zweitens weiß es, wenn es Antje Vollmer und Ralf Füchs nicht wissen, auf jeden Fall die Basis, die Leute, die sich vor Ort die Hacken ablaufen, die in Zusammenarbeit mit Friedens-, Öko- und Frauengruppen die allseits anerkannte Kommunalpolitik machen.

Wollt ihr diese Menschen im Regen stehen lassen und deren Arbeit der SPD zum Fraß vorwerfen? Wenn ihr müde seid, dann zieht euch zurück, entspannt euch, benutzt die gewonnene Zeit zum Brainstorming und kommt bitte erst dann zurück, wenn ihr eure Depression überwunden und wieder genug Power habt, um euch konstruktiv einzubringen, so wie es beispielsweise Jutta Ditfurt getan hat. Aber seid so nett und nehmt euch selbst und eure Frustration nicht so wichtig, daß ihr mit lautem öffentlichem Getöse aus unserer Partei auszieht, ohne eine Alternative anzubieten. Ihr schadet damit nämlich nicht denjenigen, die ihr treffen wollt - die sind froh, wenn ihr das Handtuch schmeißt, sondern den anderen, die mit Euch inhaltlich einer Meinung sind. Wer, wenn nicht wir Linken, die wir Die Grünen nie als Sprosse in der Karriereleiter für bessere Posten in der SPD begriffen haben, soll denn in Zukunft all denjenigen, die noch nicht dem Konsumwahn verfallen sind, denen eine saubere Luft wichtiger ist als der Porsche vor der Tür, die nicht den kleinen Unterschied zum großen machen wollen, die für soziale Gerechtigkeit und kompromißlose Abrüstung auf die Straße gehen, eine politische Heimat bieten?

Ich bin der Meinung, wenn wir gehen, dann gehen wir alle, aber erst dann, wenn Die Grünen tatsächlich die grünangestrichene FDP geworden sind, zu denen sie einige machen wollen, wenn wir wirklich alles versucht haben, dies zu verhindern, und wir vor allem eine Alternative zu den Grünen anzubieten haben, die es uns ermöglicht, politisch weiterzuarbeiten. Oder wollt ihr euch in Zukunft damit begnügen, einmal im Jahr euer Kreuzchen nicht zu machen?

Ulrike Thomas, Stadträtin in Mannheim und Landesfrauenreferentin der Grünen Baden-Württemberg

Sozialismus

ohne Perspektive

Die Debatte um die Aufrechterhaltung einer sozialistischen Perspektive, die derzeit bei einigen Grünen geführt wird, veranlaßt mich zu folgenden Anmerkungen:

1. Dem Sozialismus ist die ökonomische Begründung abhanden gekommen. Die Befehlswirtschaft des sozialistischen Modells hat sich als dem Konkurrenzprinzip des Kapitalismus unterlegen erwiesen. In historisch-materialistischer Sichtweise kann somit nicht mehr auf den Sozialismus als ökonomische Alternative zum Kapitalismus zurückgegriffen werden.

2. Wer dennoch auf das sozialistische Modell als Gegenentwurf zum Kapitalismus nicht verzichten will, begibt sich damit in die Tradition des (deutschen) Idealismus, den schon Marx mit beißendem Spott bedacht hat. Allein sozialpolitische Motive reichen zur Aufrechterhaltung der sozialistischen Perspektive nicht aus. Nächstenliebe oder Gerechtigkeit werden z.B. auch von Religionen proklamiert.

3. Das Scheitern des sozialistischen Modells macht eine materialistische Kritik des Kapitalismus nicht entbehrlich. Erinnert sei hier nur an die internationale Arbeitsteilung, die Ausbeutung des Menschen oder die Ausplünderung der natürlichen Ressourcen. Der ökonomische Sieg des Kapitalismus über den Sozialismus besagt nichts über dessen Geltungsansprüche für die Zukunft.

4. Die Grünen wären besser beraten, statt einer sozialistischen Gespensterdebatte den Diskurs über ihr Motto „Nicht rechts, nicht links, sondern vorn“ zu führen, in dem wohl zutreffend geahnt wurde, welche neuen und schwierigen Aufgaben sich im gesellschaftstheoretischen Bereich auftun. Daß dabei auf bequeme altsozialistische Wahrheiten verzichtet werden muß, macht die Sache - auch im biographischen Sinne - nicht einfacher. An der Neuformulierung eines Gegenentwurfs zum kapitalistischen Modell geht aber kein Weg vorbei.

5. Wer dennoch auf eine Revitalisierung der sozialistischen Ideologie mittels einer wie auch immer gearteten Verbindung mit der PDS setzt, manövriert sich in die politische Sackgasse. Deren Prozentpunkte bei der DDR-Wahl verdanken sie nicht etwa einer fortdauernden Attraktivität des Sozialismus, sondern vordergründigeren Motiven ihrer Wähler. Der Absturz der PDS in die politische Bedeutungslosigkeit ist mittelfristig vorgezeichnet, und wer organisatorisch und ideologisch auf die PDS-Karte setzt, läuft Gefahr, dieses Schicksal zu teilen.

Jürgen Bartsch, Rheinberg/Rhld

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen