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Max K. war ein schweigsamer Mann

■ Die SED und eine Hoffnung auf Gerechtigkeit

Heute vor vierundvierzig Jahren wurde in Berlin die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (im folgenden: SED) gegründet.

Als der sozialdemokratische Zimmerman Max K. in Potsdam SED -Mitglied wurde (die Tafel an dem Haus, in dem sich die Potsdamer zu vereinigen hatten, ist bereits abgeschraubt, und auch die Straße, in der das Haus steht, hat einen neuen alten Namen), war er bereits 74 Jahre alt und Teilnehmer zweier Weltkriege gewesen. Ich weiß nicht, was den Mann geritten hat, denn den Weltkrieg II hätte er sich doch wohl ersparen können, niemand hätte sich gewundert, wenn der doch schon damals alte Zimmermann nicht dem Ruf der „Organisation Todt“ nach Kiew gefolgt wäre... Neunzehnhundertsechsundvierzig jedenfalls hatte er schon zwei Söhne überlebt und einen dritten auf eine auch sehr deutsche Art verloren: der wurde Nazioffizier und kehrte nach dem Kriege nicht ins Vaterhaus zurück, sondern lenkte seine Schritte in die Pfalz.

Sie waren eine große Familie gewesen, eine große sozialdemokratische Familie - mit zwei schwarzen Schafen: dem schon erwähnten Offizier und dem einen Sohn, den es zu den Kommunisten gezogen hatte. Der lebte '46 schon nicht mehr (Arbeitsunfall); er war der einzige gewesen, der '33 nach Sachsenhausen gemußt hatte, das jetzt übrigens von Resten der „Eichmann-Söhne“ (und Scharen nachgewachsener „Eichmann-Enkel“?) fast zu einer NKWD-Erfindung umgeschwindelt werden soll. Was für einen Grund, bitte sehr, sollte der alte Zimmermann gehabt haben, der schon zu Versammlungen Karl Liebknechts gegangen war, als es noch 'nen Kaiser gab, was für einen Grund also sollte der gehabt haben,nicht in die SED zu gehen? Hatte er kein Recht auf Hoffnung? Auf Hoffnung darauf, daß sich die Sozis und die Kommunisten fortan nicht mehr die Köpfe blutig schlagen würden, die Hoffnung auf friedliches Gedeihen dessen, was erlandläufig unter Sozialismus verstand, für den ihm das einfache, unspektakuläre Wort „Gerechtigkeit“ stand?

Max K. war ein schweigsamer Mann. Es ist mir nicht überliefert, welche Ansichten er über einen anderen Mann hatte, der hinter vorgehaltener Hand „Locken-Schulze“ und dessen Name in Verbindung mit dem fernen Landstrich Sibirien genannt wurde. Mitte der 50er Jahre war „Locken-Schulze“ wieder da, ein Graukopf, der versunken in seinem Garten pusselte. „Locken-Schulze“, Sozialdemokrat. Der hatte nicht in die SED gewollt.

Als der Zimmermann Mitte der fünfziger Jahre starb, kamen die die Stadt und den Kreis führenden Genossen mit großen Kränzen. Auch eine mittelgroße Militärkapelle mit einem mitteldicken Tambourmajor hatten sie vor die Tore der Stadt auf den Dorffriedhof von D. geschickt. Die spielte - wie es sich gehört(e) - die „Internationale“ oder „Brüder zur Sonne...“. Dann sprach ein Redner, der sich wie ein Pastor verkleidet hatte, und der Sozialist und SED-Genosse, das Rädchen im administrativ-zentralistischen-stalinistischen System wurde an Seilen herabgelassen. Salut!

Heute vor vierundvierzig Jahren... - eigentlich hatte ich nur darauf aufmerksam machen wollen, daß es nicht nur viele Gründe gab, nicht in der SED zu sein. Außerdem - Max K. war mein Großvater, und der hat eine andere Geschichtsschreibung verdient, als die, die jetzt angesagt ist. Nee, Freunde, zu einfach sollten wir es uns nun doch nicht machen.

Wolfgang Sabath

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