: Das Tor zum Baltikum
■ Rostocks Überseehafen wird zu seinem Jubiläum am 30 April zur AG umgekrempelt / Keine Übersee-Ambitionen, vor Konkurrenz wird nicht gekniffen
Rostock (ap) - Mit dem schnellen Wandel vom zentralistisch dirigierten volkseigenen Betrieb zu einer auf Dienstleistungen ausgerichteten Aktiengesellschaft will der Überseehafen Rostock den Kampf um Anteile am hart umkämpften baltischen Transportmarkt aufnehmen. „Wir sind hier mitten in der Gründerphase“, sagt Hafendirektor Dieter Noll und blickt auf die vielen Baustellen im Hafengebiet. Er sieht die Zukunft in Fährdiensten und der Schaffung von Lager- und Verarbeitungskapazitäten für den Umbau der DDR.
Der größte Übersee-Umschlagsplatz der DDR feiert am 30.April 1990 seinen 30.Geburtstag, und schon am kommenden Samstag soll mit einer Betriebsversammlung die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft vorbereitet werden.
Statt der Orientierung auf den Weltmarkt soll der Ostseeraum in den Vordergrund der Handelsaktivitäten treten. Die Betreiber denken nicht daran, vor der westdeutschen Konkurrenz die Segel zu streichen, wenn Noll sich auch klar darüber ist, daß die 21 Millionen Tonnen Jahresumschlag von 1989 nicht wieder erreicht werden. Dennoch soll die Beschäftigtenzahl von 6.000 langfristig nicht nur gehalten werden, sondern sogar steigen.
Für Noll ist es nach Öffnung der Grenzen „natürlich, daß Ware, die aus dem Süden der DDR nach Übersee geht, in Nordseehäfen verschifft wird“. Aber der Hafen erhalte neue Bedeutung für das Baltikum. „Er kann als der günstigste und leistungsfähigste Kontinentalhafen für den skandinavischen Raum angesehen werden. “
Diese wollen Verbindungen von Rostock nach Norden und Osten etablieren. Auch Personenwagenfähren sind im Gespräch. „Wir haben hier einen Liegeplatz mit RoRo-Rampe“ (für „Roll-in -roll-out„-Schiffe), der eine direkte Einfahrt von Fahrzeugen in Fährschiffe erlaubt.
Mit den neuen Reedern kommen Speditionsbetriebe, die Kapazitäten zum Lagern und für landseitigen Umschlag suchen. Die skandinavische Forstwirtschaft hat einen Markt entdeckt, der in ganz kurzer Zeit zu boomen verspricht: Papier für Zeitungen und vor allem für EDV wird in Massen gefragt sein. Es soll über Rostock kommen.
Im Gespräch ist der Hafen mit einer Firma, die die großräumige Verteilung von Autos aller Marken in die neu entstehenden Märkte der DDR, Polens und der baltischen Staaten von Rostock aus organisieren möchte. Auf dem Hafengelände ist mit bundesdeutscher Beteiligung der Bau eines Heizkraftwerks geplant, das mit am Pier gelöschter Steinkohle beschickt und Hafen und Stadt mit Wärme und Energie versorgen soll. „Allein das bringt mindestens 1,2 Millionen Tonnen jährlich“, sagt Noll. Eine Verarbeitungsanlage für Gas aus Afrika steht ebenso zur Debatte wie Pläne für eine Raffinerie, an der sich westliche Unternehmen beteiligen, und Lagerungsmöglichkeiten für einen der klassischen Mangelartikel der heutigen DDR: Baustoffe.
Auch die Struktur des Unternehmens soll sich ändern: „Augenblicklich sind wir völlig autark. Wir haben zwei Kindergärten, eine Fleischerei, dreieinhalbtausend Betten, einen eigenen Tiefbrunnen und ein eigenes Heizkraftwerk. Wir versuchen, das in leistungsfähige mittelständische Unternehmen umzuformen.“ Mit dem im Gefolge der Wende gebildeten Hafenrat sollen am Samstag die Weichen für die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft gestellt werden.
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