: Lafontaine beackert schon jetzt das Revier
Der saarländische Ministerpräsident rüstet sich im NRW-Wahlkampf für den Kampf gegen Kohl / Jeweils 14 Veranstaltungen in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen / Von Wahlkampffieber ist allerdings noch kaum etwas zu spüren / Immerhin wird Lafontaine von der früher so atomfixierten SPD freundlich empfangen ■ Aus Düsseldorf Walter Jakobs
Im Betriebsratsbüro des Krupp-Stahlwerkes Rheinhausen bekommt der Kandidat am Donnerstag seinen ersten Arbeitsauftrag: „Wir bitten Sie, falls Sie Kanzler werden, die weitere Finanzierung unseres Qualifizierungszentrums hier in Rheinhausen sicherzustellen“, sagt der Jugendvertreter der IG Metall. Wollen tät er schon, doch davor steht das Wahlvolk. Um das zu gewinnen, tourt Oskar Lafontaine in diesen Tagen durch NRW und Niedersachsen.
Das fast schon legendäre Rheinhausener Betriebsratsbüro von hier aus wurde der 160tägige Arbeitskampf um die Krupp -Stahlhütte geführt - gehört zu den ersten Stationen des Kohl-Herausforderers, der in den nächsten drei Wochen mit je 14 Wahlveranstaltungen in die Landtagswahlkämpfe in NRW und Niedersachsen eingreifen wird. In Rheinhausen trifft Lafontaine auf einen relativ optimistischen Betriebsrat, denn, so der Vorsitzende Manfred Bruckschen, „zur Stunde sieht es für Rheinhausen nicht schlecht aus“. Was Bruckschen noch nicht sagen kann, ist zu dieser Stunde tatsächlich so gut wie sicher: Die Krupp-Hütte wird nicht - wie geplant in diesem Jahr dicht gemacht, sondern der Betrieb geht mit einem Hochofen und möglicherweise 2.500 Beschäftigten vorerst weiter; die unerwartet gute Stahlkonjunktur macht's möglich. Lafontaine freut sich über den „Optimismus“, kommt dann aber auch an diesem Ort schnell zu seinem eigentlichen Thema, der Deutschlandpolitik. Die Betriebsräte, ohnehin fast alle Sozialdemokraten, nicken wohlwollend. Zwei Stunden zuvor, in der Bottroper Stadthalle, kam bei diesem Thema zum ersten Mal so etwas wie Wahlkampfstimmung auf. Kaum kam der Saarländer auf die „total verkehrte“ Aus- und Übersiedlerpolitik der Kohl-Regierung zu sprechen, wachte das Wahlvolk im Saal mit stürmischem Beifall auf. Der schwoll regelmäßig an, wenn Lafontaine genüßlich aufzeigte, wie die CDU-Spitzenpolitiker „reihenweise umgefallen und auf unsere Forderungen eingeschwenkt sind“. Daß „unsere“ Forderungen zunächst nur „seine“ waren, viele Parteifreunde
-gerade auch in NRW - ihn einst heftig schalten, spricht Lafontaine bewußt nicht an. Es weiß ohnehin jeder und macht den Kandidaten parteiintern zusätzlich stark. Im Gespräch mit Journalisten deutet der Saarländer dezent, aber gezielt an, daß die Partei ja immer wieder Schwierigkeiten hatte, ihrem fixen Vordenker zu folgen. Das ist mehr als die eitle Attitüde eines politischen Superstars, es ist die Wahrheit. Nirgendwo wird das deutlicher als im Revier. Nirgendwo wird das klarer als beim Thema Energiepolitik. Hätte Lafontaine Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre in der Bergbaustadt Bottrop „heraus aus der Kernenergie“ gerufen, dann wäre ihm ein Pfeifkonzert, nicht Applaus sicher gewesen. Damals hing die nordrhein-westfälische SPD im Verein mit der Industriegewerkschaft Bergbau und Energie (IGBE) noch der Formel „Kohle- und Kernenergie“ an, und jeder Kernenergiegegner galt als Vorbote des industriellen Untergangs. In NRW baute man damals gerade mit zwei Milliarden DM Landesmitteln den Hochtemperaturreaktor in Hamm-Uentrop, ein Lieblingsprojekt der NRW-Sozialdemokraten und der IGBE.
Die Zeiten haben sich geändert. Ganz gleich ob in Bottrop, Duisburg oder Mülheim - wenn Lafontaine am Donnerstag die milliardenschweren „Fehlinvestitionen“ in Kalkar, Hamm -Uentrop oder Wackersdorf anspricht, ohne die „wir heute schon viel weiter wären“, ist ihm stürmischer Applaus sicher. Daß die Düsseldorfer Regierungssozis diese Pleiten maßgeblich mitzuverantworten haben, geht im Getöse der eigenen Anhänger unter, ist längst vergessen. Lafontaine tut gut daran, diese sozialdemokratische Wunde selbst nicht näher anzusprechen, denn noch hat er die Herzen der Sozis im Revier längst nicht erobert. Sie applaudieren ihm, sie stimmen ihm zu, aber sie feiern, sie lieben ihn nicht. Seine Attraktivität, seine Mobilisierungsfähigkeit ist offenbar geringer als erwartet. Auf dem großen Kundgebungsplatz in Rheinhausen wird das augenfällig. Der Platz ist nicht mal zur Hälfte gefüllt. An den sechs Bierbuden herrscht gähnende Leere. Eine müde Veranstaltung mit gelangweilt dreinblickenden Besuchern, von Emotionalisierung, von Wahlkampfengagement keine Spur. Zwei Stunden später, in der gut besuchten Stadthalle von Mülheim, kommt der Kandidat wieder besser an. Lafontaine hat sich inzwischen warm geredet, trifft den „richtigen“ Wahlkampfton. Die deutsche Einheit dürfe es nicht „zum Kohl-Tarif“ geben, es dürfe nicht sein, „daß die Malocher diese Politik bezahlen, während die Reichen wieder nicht zur Kasse gebeten werden“. Donnernde Zustimmung: Lafontaine unter den Seinen. Bodo Hombach, Mülheimer SPD-Landtagskandidat und zugleich oberster Wahlkampfmanager der NRW-SPD, sieht Lafontaine nach diesem Auftritt schon als den Mann, „der das Ruhrgebiet erobert“. Dem Kandidaten schenkt Hombach eine Trompete. Die wird er noch brauchen, denn bisher läuft die „Eroberung“ nach dem Motto, „Lafontaine kommt, aber keiner merkt's“.
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