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Ein Mittelweg zwischen schwedischem und US-Modell

Yan Jiaqi, Präsident der Föderation für ein demokratisches China, über die Demokratisierung Chinas, die Zukunft der KPCh und die Marktwirtschaft  ■ D O K U M E N T A T I O N

Frage: Welche Aktivitäten entwickelt Ihre Organisation, die „Föderation für ein demokratisches China“ (FDC), um eine demokratische Entwicklung in der Volksrepublik zu unterstützen?

Yan Jiaqi: Die weltweite Demokratiebewegung und auch die westliche Presse üben Druck auf die Volksrepublik aus, gerade deshalb bemüht sich die FDC, die internationale Öffentlichkeit anzusprechen und zu mobilsieren, um so die Regierung zu Änderungen zu bewegen.

In unserer jüngsten Aktion haben wir ein Protestschiff in die internationalen Gewässer vor China geschickt, um die Bevölkerung über Rundfunk von unserer Politik zu informieren und wahrheitsgemäß über die Ereignisse des letzten Jahres zu berichten. Sicherlich fördern diese Aktionen die demokratische Entwicklung Chinas, doch ich muß betonen, daß der Widerstand der chinesischen Bevölkerung im Inland die wichtigste Komponente auf dem Weg der Demokratisierung ist.

Wieviel Oppositionsgruppen gibt es im Ausland? Stimmt es, daß es extreme Meinungsverschiedenheiten unter den einzelnen Gruppen gibt?

Es gibt diverse Oppositionsgruppen und drei verschiedene Hauptdenkansätze. Der erste Ansatz ist die Forderung nach demRücktritt des jetzigen Regimes, das für das Massaker verantwortlich gemacht wird, unter Beibehaltung des sozialistischen Systems, das von der Partei aus reformiert werden soll. Diese These wird von Oppositionellen vertreten, die sich allerdings noch nicht zu einer Organisation formiert haben. Eine zweite Gruppe fordert ein absolutes Verbot der KP und lehnt Gewalt nicht von vornherein ab.

Die dritte Meinung, die von der FDC und chinesischen Studentenverbänden im Ausland vertreten wird, verfolgt eine Abschaffung der Einparteiendiktatur, die ihre Legitimation längst verloren hat. Wir stehen für eine gewaltlose gesellschaftliche Umwälzung, ähnlich derjenigen, die zur Zeit in Osteuropa statfindet. Denn nur ein Mehrparteiensystem und eine Aufteilung der Macht kann eine Gewalteruption, wie die des vergangenen Jahres, verhindern. Wir bekennen uns eindeutig zum Prinzip der Gewaltlosigkeit und des friedlichen Widerstandes. Doch es gibt Situationen, in denen man nur durch Gegengewalt überleben kann.

Glauben Sie, daß die chinesische Bevölkerung das System verändern kann, daß sich nationaler Widerstand bildet?

Es ist schwierig, etwas zu prognostizieren, da es von der Gesamtentwicklung aller demokratischen Kräfte abhängt. Meiner Meinung nach gibt es zwei Entwicklungsmöglichkeiten: Es könnte zu einer Spaltung der Partei kommen, die durch Druck aus allen Richtungen forciert wird. So kann eine vernünftige und progressive Gruppe innerhalb der Partei denjenigen (Deng Xiaoping, Li Peng, Yang Shangkun), die das Massaker befahlen, die Macht aus den Händen reißen. Der Widerstand in China, die Aktivitäten der Exilorganisationen, die Verurteilung durch andere Regierungen und durch die Weltbevölkerung, besonders aber die wirtschaftliche Krise, in der sich China zur Zeit befindet, begünstigen eine Spaltung der KP, führen jedoch nicht zu deren Ablösung. Es wird eine Demokratisierung von oben nach unten geben, die in einer Anerkennung der Opposition mündet und die Aufgabe des Machtmonopols der Partei zur Folge haben wird. Das bedeutet jedoch nicht, daß die KPCh als Hoffnungsträger anzusehen ist.

Andererseits, wenn die Partei an ihren Prinzipien festhält, wird es zu neuen Konflikten kommen, die durch Gewaltanwendung der Partei niedergeschlagen werden. Wenn jegliche Opposition brutal niedergeschlagen wird, kommt es irgendwann zu Gegengewalt.

Chinas weiterer Weg ist nicht voraussehbar, wir hoffen jedoch, daß die Wandlung friedlich verlaufen wird. Der Widerstand der Bevölkerung muß der Motor der Entwicklung sein. Die Bevölkerung darf sich nicht mit einer reformfreudigen KPCh zufriedengeben, sondern muß darum kämpfen, ein Mehrparteiensystem zu etablieren.

Wie stehen Sie zu der Behauptung, daß die Mehrheit der chinesischen Bevölkerung für eine Demokratie noch zu ungebildet und unerfahren ist?

Meiner Meinung nach versteht die chinesische Bevölkerung schon, was Demokratie ist. Es ist die Erfahrung, die dem Volk noch fehlt. Wichtig ist, daß die chinesische Bevölkerung ein demokratisches Bewußtsein hat und bei den Demonstrationen im Mai erstmals dafür eingetreten ist.

Wie beurteilen Sie die Haltung der westlichen Industrienationen gegenüber der Volksrepublik?

Es ist positiv zu bewerten, daß seit dem Massaker kein Besuch bedeutender Politiker auf Regierungsebene stattgefunden hat, und daß die Wirtschaftsbeziehungen eingefroren wurden. Wenn Kissinger sagt, daß die USA die Beziehungen zur Volksrepublik aufrechterhalten müssen, da sich die Volksrepbulik sonst mit der Sowjetunion verbündet, entbehrt diese Äußerung jeden Fundaments. Die Angst der chinesischen Führung vor der Sowjetunion und ihrer Perestroika läßt eine Annäherung der beiden Staaten in absehbarer Zeit unmöglich erscheinen. Doch hat Kissingers Äußerung großen Einfluß auf die Regierung Bush und die japanische Führung. Es ist erfreulich, daß die Regierungen europäischer Länder und auch der amerikanische Kongreß eine distanzierte Politik gegenüber China eingeschlagen haben. Das Ausmaß der Repressionen innerhalb der Volksrepublik sollte den Umfang des Boykotts anderer Länder bestimmen. Die FDC plädiert für eine Aufhebung des Boykotts, wenn in China alle politischen Gefangenen freigelassen worden sind und die Demokratiebewegung als ebendiese anerkannt und nicht als „konterrevolutionäre Rebellion“ verunglimpft wird. Um diese Beziehungen wieder zu normalisieren, müssen unserer Meinung nach diese Mindestforderungen erfüllt sein, selbst wenn die KPCh dabei noch den Alleinanspruch der Macht innehält.

Wie lange kann sich das sozialistische Regime noch halten? Mitte letzten Jahres sprachen einige Oppositionelle von höchstens drei Jahren.

Die erste Frage muß die sein, wie lange sich das Regime Deng/Li/Yang noch halten kann. Danach kann man überlegen, wie lange es dauern wird, bis deren Anhänger verschwinden und bis das System gestürzt werden kann. Aber ich bin der Ansicht, daß der Sturz dieser Regierung nicht mehr fern ist

-in zwei oder drei Jahren. Bis jedoch deren Anhänger verschwunden sind, wird es noch weitere zwei Jahre dauern. Die Partei muß folgende Maßnahmen ergreifen, um sich zu retten: eine andere Politik einschlagen, Demokratisierung und Reformierung. Deshalb wird es noch etwas dauern, bis das Einparteiensystem endlich abgeschafft ist. Selbst bei einem Ende des Einparteiensystems wird es in China vorerst keine richtige Demokratie geben.

Wie sehen Sie Chinas Zukunft? Glauben Sie an einen „demokratischen Sozialismus“ oder fordern Sie eine Marktwirtschaft im westlichen Sinne?

Der Begriff „demokratischer Sozialismus“ ist zur Zeit zu einem Modewort avanciert. Vaclav Havel, Lech Walesa und selbst jugoslawische Hardliner reden davon und sehen die Zukunft dieser Welt in diesem System. Ich glaube, die Ursache dafür liegt darin, daß die kommunistischen Ideale im Ostblock keine Anhänger mehr finden, aber auch nicht die Bereitschaft besteht, das amerikanische Modell vorbehaltlos zu übernehmen. Sie träumen noch den Traum von der Gleichheit aller Menschen in der Gesellschaft, deswegen wollen sie diesen Weg einschlagen. Ich teile diese Meinung nicht. Ich befürworte einen Mittelweg zwischen dem schwedischen und amerikanischen Modell.

Yan Jiaqi war Direktor der Pekinger Akademie der Sozialwissenschaften und gehörte zum Beraterstab des gestürzten KP-Chefs Zhao Ziyang.

Gekürzt aus: 'Res Oeconomica‘ 2/90

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