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Umbruch, Identität und Medien

„Die Öffnung der politischen Strukturen ist die Chance des Wiedergewinns der Identität.“ Damit wandelte Prof. Odermann aus Potsdam die leitende Fragestellung einer Veranstaltung im Rahmen des „Interforums“ gleich zu Beginn seines Beitrags in eine Feststellung um. Im folgenden wies der Medienrechtler Fernsehen, Rundfunk und Presse der DDR die wichtige Aufgabe zu, diese neu erkämpfte Identität zu bewahren und die politischen Strukturen der Demokratie zu festigen, nicht ohne vorher auf die Rolle bundesrepublikanischer Medien während des Umbruchs in der DDR eingegangen zu sein. Damit traf er sich mit anderen Referenten, die am Wochenende zum Thema Wandel/Identität/Medien sprachen.

Einig war man sich im Naheliegenden: Die Revolution im Herbst wurde nicht durch die Medien ausgelöst, wohl aber haben sie durch ihre Berichterstattung das Tempo der Entwicklung in Osteuropa beschleunigt. Das Bild der Außenwelt, der Bundesrepublik, sei das einer „Reklamewelt“ gewesen, das nicht durch eigene Erfahrungen überprüfbar gewesen sei, führte Siegfried Zoels vom Neuen Forum Berlin aus. Christian Semler hatte bereits am Vortag darauf hingewiesen, daß das wesentliche Element des Einflusses der Westmedien nicht aus der Übermittlung unterdrückter politischer Information bestand, sondern vielmehr Wünsche und Bedürfnisse geweckt wurden und damit Lebensläufe vor Augen führten, die mit dem gestanzten Karriereweg des real exististierenden Sozialismus unvereinbar waren. Ein Phänomen, das man in der Dritten Welt gemeinhin Kulturimperialismus nennt. Erst mit der Öffnung der Mauer wurde der Blick hinter die glitzernde Fassade möglich.

Eine ähnliche Erfahrung machte Zoels im Umgang der DDR -Bürger mit den Westmedien aus. Nach der Berichterstattung über die Volkskammerwahl, dem Versprechen, die Verhältnisse in der DDR würden sich schnellstens denen der Bundesrepublik angleichen, und der Ernüchterung nach der Debatte über den Umtauschkurs habe die Bevölkerung erkannt, daß die Medien nicht die Wahrheit an sich tranportierten, sondern Mittel, Werkzeuge seien, die auch einer Überprüfung standhalten müssen.

Verständlich, daß bei dieser Herangehensweise Zoels die Frage des Verhältnisses von politischer Öffnung und Identität weniger glatt beantwortete als Odermann. „Leute, die sich vorher mit Entschiedenheit gewehrt haben, Hammer, Zirkel und Ährenkranz, unser DDR-Symbol, zur Kenntnis zu nehmen, sagen jetzt, wir müssen zirkeln, daß wir in Ehren unter den Hammer kommen, um nicht verkauft zu werden“, meinte Zoels. „Es wird genauer überlegt, was ist denn, was war denn brauchbar, es war doch nicht alles schlecht, wie es der erste Eindruck nach der Öffnung der Mauer war.“

Hohe Erwartungen, Ernüchterung - ein Strang, der sich durch eine ganze Reihe von Beiträgen zog. Zusammengebrochene Weltbilder, große Hoffnungen, Sorgen, wie es weitergeht: ein Terrain, auf dem nationalistische, chauvinistische oder religiöse Strömungen gedeihen können, weil sie neue Orientierungen bieten können. Darauf wiesen einige Osteuropäer hin.

„Wo sollen wir unsere Identität finden?“ Der diese Frage so deutlich stellte, stammte nicht aus Osteuropa, sondern aus China. Der Intellektuelle Su Wei machte in seinem Beitrag zum Thema politische Strukturen und Identität einmal mehr deutlich, daß es auch bei vielem gutem Willen doch manchmal nahezu unmöglich ist, „von den Erfahrungen zu lernen“. Er war nicht nur der einzige, der zum Thema sprach, ohne die Rolle der Medien zu erwähnen, sondern vermutlich auch jemand, dem sich die Frage in einer ganz anderen Radikalität stellte: Wo soll man eine neue kulturelle Identität finden, nachdem der Marxismus als Religion zusammengebrochen ist, wo man nicht einfach nahtlos am Konfuzianismus oder Taoismus anknüpfen kann, als sei nichts geschehen, gleichzeitig aber die westliche Kultur nicht komplett übernehmen kann? Die Frage blieb, wie so viele andere auf diesem Kongreß, unbeantwortet.

Beate Seel

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