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Keine Angst vor der Oper

■ Ein Gespräch mit Hans Werner Henze über die 2. Münchener Biennale - das internationale Festival für Neues Musiktheater 1990

Hans Werner Henzes Münchener Biennale für Neues Musiktheater wird am 25.April wieder an den Start gehen und bis zum 17.Mai neue Opernkomponisten verschiedenster Nationalitäten präsentieren. Henzes Rezept ist so einfach wie ungewöhnlich. Weg mit dem Ausstattungströdel und bitte mehr Aktualität in die steifen Tableaus. Gefragt ist ein Musiktheater des schnellen Wechsels, der ständigen Erneuerung und der kri tischen Auseinandersetzung mit der Gegenwart. Mit Henze sprach Barbara Zuber

Herr Henze, wo liegen in diesem Biennale-Programm die künstlerischen und didaktischen Schwerpunkte?

Henze: Wer sich für Tanz interessiert, findet in der Produktion The Mother of Three Sons des Tänzers und Choreographen Bill T. Jones sicherlich neue Aspekte. Es handelt sich um eine schwarze Tanzoper, die wir da präsentieren, in New York erfunden und inszeniert. Neben dieser schwarzen afroamerikanischen Märchenwelt, die dort in New York entwickelt worden ist, führen wir eine gewaltige Theaterphantasie über die Apokalypse auf, sehr auf unsere Zeit bezogen, eine Ruth-Berghaus-Inszenierung. Dann haben wir eine Anzahl von weniger aufwendigen Produktionen im Carl -Orff-Saal des Gasteigs, wo man vielleicht die Schwellenangst erst überwinden muß. Aber Tennisschuhe werden akzeptiert. Jeder kann kommen, wie er mag, um die James -Purdy-Oper 63: Dream Palace von Hans Jürgen von Bose kennenzulernen. Das ist eine Oper über eine amerikanische Jugendgeschichte, eine Geschichte von zwei Brüdern, die es in den 50er Jahren in die Großstadt, nach Chicago verschlagen hat. Oder eine ungarische, höchst exzentrische Komödie, von einem sehr, sehr modernen, avantgardistischen Komponisten. Die französische Komponistin Michele Reverdy hat das Drama Der Hofmeister von Jakob Michael Reinhold Lenz aufgegriffen, um das Verhalten des Sturm-und-Drang -Deutschen aus französischer Sicht einer modernen Frau in das Vokabular einer heutigen komischen Oper zu übertragen.

Das sind also drei Werke, bei denen Schwellenangst vor der Oper wirklich nicht angebracht ist - gerade bei einem kritischen, lebendigen, sich mit den künstlerischen und gesellschaftlichen Problemen unserer Zeit auseinandersetzenden Publikum wie das Münchens, einem Großstadtpublikum.

Und dies in einer Stadt, deren Kulturausgaben im Vergleich zu denen anderer bundesdeutscher Großstädte an zehnter Stelle stehen...?

Naja... Schließlich wird die Biennale auf den Marienplatz gehen und hochkarätige elektronische Musik von Marco Stroppa anbieten, eine wunderbar klingende Musik, muß man sagen. Außerdem werden sechs Figurenopern uraufgeführt. Das sind Marionettenspiele, mit welchen sich ganz junge Regisseure präsentieren, und eine neu gegründete Puppenführer-Company, die aus dem Umkreis des Freien Musikzentrums kommt. Dort wurden - vom Spielerischen bis zum tiefgehenden modernen Experiment - neue Arten eines Kammermusiktheaters entwickelt, das in der Black Box des Gasteigs, einem sehr intimen Raum, in welchem man sich sehr gut konzentrieren kann, vorgestellt wird. Für das Puppenspiel besteht im Augenblick immer mehr Interesse... ein renovatorisches, nehme ich an.

Sie plädieren als künstlerischer Leiter der Münchener Biennale für das Genre der Kammeroper, für kleine Besetzungen, ein Minimum an Ausstattung, suchen nach neuen Opernstoffen und formalen Lösungen wie in den sechs Stücken für musikalisches Figurentheater. Gibt es in dieser 2. Biennale spezielle wegweisende, auch experimentelle musikdramatische Ideen, vielleicht sogar eine - ich setze das in Anführungszeichen - „Münchener Dramaturgie des Neuen Musiktheaters“? Vergleichbar etwa den Experimenten der Berliner Kroll-Oper in den 20er Jahren?

Es könnte sein, daß die klein besetzte Großform Oper, wie wir sie beim ersten Mal ausprobiert haben, so etwas wie das Zentrum, das Herz der Münchener Biennalen wird. Warten wir's ab, schaun wir, wie die Werke von Michele Reverdy, Hamary und Bose ankommen und in welchem Maße sie Autoren für die Biennale III inspirieren, diese Form weiterzuentwickeln. Die Kroll-Oper hat nur einige Jahre lang existiert... Ich möchte ja gern, daß die Biennale eine permanente Einrichtung wird. Übrigens sind wir, strukturell und vom Thema, von der gestellten Aufgabe her nicht mit dem Arbeitsstil von Opernhäusern zu vergleichen, und wir machen nur Neues!

Das Neue in der Musik ist ja nicht nur eine Sache der Komponisten, sondern auch ein Problem des Hörens. Vor einiger Zeit bin ich im Henze-Buch von Peter Petersen auf einen wunderbaren Druckfehler gestoßen. Da heißt es in einer Überschrift: „Die Sonfonie will nicht sterben“. Das ist doch eine interessante und aufschlußreiche Fehlleistung, wenn Lektor und Autor so etwas überlesen und nicht in „Sinfonie“ verbessern. „Son“ heißt ja „Klang“. Nicht mehr die traditionelle Sinfonie oder das Sinfoniekonzert als etablierte bürgerliche Institution stehen auf dem Plan der zeitgenössischen Musik. Es geht um neue, andere Klänge, um das Hören dieser neuen Klänge und eigentlich um das, was die Musik aussendet: Schwingungen in der Luft...

...um das Seelische - das kann man ruhig sagen -, in welchem das Publikum vielleicht eine Identität finden könnte.

Sind Sie davon überzeugt, daß das heutzutage jeder noch kann und will, mitten in all dem Musikmüll, mit welchem wir von morgens bis abends berieselt, manchmal sogar bedröhnt werden?

Nach den vielen Partituren neuer Musik beurteilt und den vielen begabten Komponisten - die man findet, wenn man sich damit beschäftigt -, muß ich sagen, daß diese neue Komponistengeneration ein enormes Potential besitzt, nicht nur an Kenntnissen und Können, sondern auch an Einblicken; und einer Art und Weise, mit der Musik umzugehen, die zuvor vielleicht gar nicht in diesem Maße möglich war. Es wäre doch wirklich ein Jammer, wenn die jungen Münchener sich nicht gleich jetzt mit diesen neuen Werken beschäftigten.

Wer vor zwei Jahren die erste Münchener Biennale für Neues Musiktheater besucht hat, konnte ja miterleben, wie sich im Parkett vorwiegend junge Leute tummelten, die sich ohne viel Umstände, mit Neugierde und unternehmungslustig eine Gattung eroberten, die mancher von ihnen vorher am liebsten in die Mottenkiste gesteckt hätte. Wird die Biennale auch im zweiten Durchgang so jung bleiben?

Bei der ersten Biennale war vieles von Zufall und von ausbleibenden Subventionen, plötzlichen Verlusten von Spielstätten, von Mißtrauen und Unsicherheit belastet. Heute sind wir besser dran, wir kennen uns aus, und wir genießen mehr Achtung und Vertrauen als zuvor, wir sind in der Lage, ein weiteres, auch internationaleres Spektrum als beim ersten Mal zu präsentieren.

Eine Frage zum musikalischen Figurentheater: Welche Konsequenzen hat das für die Komposition einer Opernmusik für Puppen, Marionetten oder andere bewegliche Figuren, die ja nicht singen können? Entlasten sie den Komponisten oder schaffen sie ihm noch mehr Probleme? Hat der Regisseur mehr oder weniger Möglichkeiten? Zumindest muß er nicht mehr einen Sänger davon überzeugen, daß dieser etwa gleichzeitig singen und über ein Seil balancieren kann.

Zunächst einmal haben wir die menschliche Stimme weggelassen. Es gibt in diesen Stücken nur Instrumentalklang, musikalische Strukturen und die Bewegung im Raum. Aber die Puppe kann nicht alles ausführen, zum Beispiel einen Teller heben, ein Glas entleeren, ein Schwert ziehen...

...aber sie kann fliegen.

Ich bin öfter in die Puppenspielschule gegangen, zu den Lektionen. Die haben ja richtig geübt, vor einem Spiegel, mit selbstgemachten Elementarpuppen. Ich kann mich noch erinnern. Sie kamen auf mich zu, so eine ganze Reihe von Puppenführern - wie sie genannt wurden-, und jede dieser Puppen, die sie vorführten, bewegte sich anders und drückte sogar den Gesichtsausdruck des Spielers aus. Die Puppe ist ein Transportmittel. Ich bin sehr gespannt auf diese Puppenspiele. Die Führer dieser Puppen übrigens sind alle Musiker. Das ist ein Novum. Sie werden viel genauer auf die Musik reagieren.

Sind das Berufs- oder Laienmusiker?

Es sind Laienmusiker. Aber ich habe nach Leuten gesucht, die möglichst Streich- und Zupfinstrumente spielen, weil da die Finger im Umgang mit Musik geschult sind. So wird die Marionette zu einer Art Instrument, zu einem Gesteninstrument. Es kann weder singen noch sprechen. Hoffentlich wird das Ganze nicht zu einem Ritt über den Bodensee!

Hat das Publikum während der 2. Biennale wieder die Möglichkeit, die Komponisten in Gesprächsrunden kennenzulernen, um so Einblicke in ihre Arbeitsweise, ihre musikalischen Vorstellungen und den Entstehungsprozeß ihrer Oper zu erhalten?

Wir haben eine ganze Menge solcher Veranstaltungen vorgesehen, nicht nur Komponistengespräche. Seit einiger Zeit besteht auch an der Volkshochschule die Amateurwerkstatt, ein Kurs für Amateurkomponisten, bei welchem sich 75 Teilnehmer angemeldet haben. Die jüngste Anmedlung stammt von einem Elfjährigen und der älteste Teilnehmer ist ein 70jähriger Landwirt.

Das Biennale-Programm kündigt auch eine Schüler- und Schuloper an.

Das ist eine Arbeit von jungen Leuten des Pestalozzi -Gymnasiums, die eine selbstgemachte Oper aus der Welt der Schule präsentieren werden. Absences heißt sie... Plural! Ich hätte es sehr gerne, daß man in Zukunft mehr dergleichen unternimmt.

Die öffentlich subventionierten Opernhäuser versinken in Larmoyanz über steigende Stargagen, Personal- und Produktionskosten. Bei jedem Intendanten- oder Opernmachertreff wird das düstere Bild einer Schließung der Theater, zumindest aber mehrerer opernfreier Abende an die Wand gemalt. Die Biennale hingegen schafft es auch diesmal, aus einem weitaus geringeren technischen, bürokratischen Aufwand und einem vergleichsweise bescheidenen Etat (4 Millionen aus städtischen Mitteln und etwa 1,5 Millionen aus Sponsorentöpfen) ein Optimum herauszuschlagen und fünfzehn Uraufführungen größerer und kleinerer Musiktheaterproduktionen auf die Beine zu stellen. Wie schaffen Sie das?

Ich denke, es wäre nicht fair, unsere Biennale gegen die existierenden staatlichen und städtischen Musiktheater auszuspielen: Diese müssen ja das gesamte Jahr hindurch Abend für Abend spielen und haben deswegen einen gewaltigen Aufwand von laufenden, den Großteil der Subventionen verschlingenden Kosten für ihre Orchester, Chöre, Techniker und so weiter zu liefern, während wir eine Art Stagione -System entwickelt haben, das die Kosten auf einem bemerkenswert tiefen Niveau hält. Und, bitte sehr, wir sind einmal in zwei Jahren für ein paar Wochen vorhanden und sind dann wieder verschwunden...

Beim letzten Cantiere in Montepulciano erklärten Sie mir in einem Gespräch, daß es sehr wünschenswert wäre, wenn sich mehr Künstlerpersönlichkeiten - ganz uneigennützig - in der italienischen Kulturpolitik engagieren würden. Gilt das auch für die Kulturpolitik in der Bundesrepublik?

Bei den verschiedenen alternativen kulturpolitischen Versuchen in der BRD und andern europäischen Ländern sind Künstler die Initiatoren, zum Beispiel der Komponist Peter Maxwell Davies in Hoy auf den Orkney-Inseln (Schottland) und der Bratschist Farulli in Fiesole (Florenz), der eine exemplarische Jugendmusikschule aufgebaut und das italienische Jugendsinfonieorchester ins Leben gerufen hat. Wenn kreative Leute mit einem Interesse für kulturpolitische Fragen so etwas machen, kommt eher schon mal etwas Originelles, Brauchbares heraus, zuweilen fast so etwas wie ein Modell.

Der englische Regisseur Peter Brook sagte einmal, daß sich in der Oper, er meinte auch die im Ausstattungspomp erstarrten Opernhäuser, alles ändern müsse, aber in der Oper sei jede Änderung blockiert. Sehen Sie sich auch als Blockadenbrecher im Opernbetrieb?

Die Biennale-Produktionen haben einen Typ von Musiktheater im Auge, der sich zu etwas entwickeln könnte, das vielleicht an die neapolitanische oder an die Wiener populäre Oper des 18. Jahrhunderts erinnern könnte, wo relativ wenig aufwendige Produktionen neuer Stücke an der Tagesordnung waren, die, inhaltlich auf die Gegenwart und ihre Thematik und Problematik bezogen, musikästhetisch auf ständige Erneuerung und Verbesserung konzentriert, das Theater zu einem Ort nicht nur der Unterhaltung, sondern auch des schnellen Wechsels, der Aktualität, der Auseinandersetzung und der Identifikation zwischen Autoren, Schaustellern und Publikum machen. - Allerdings gab es damals noch nicht das Kino...

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