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Die späte Rache der gefoppten Maulwürfe

Dem wendigen Meisterspion George Blake gelang 1966 die Flucht aus britischer Haft, nachdem er englische und amerikanische Tunnelgräber in Ost-Berlin an den KGB verpfiffen hatte / Nach fast 24 Jahren beginnt morgen das Empire den Prozeß gegen Pat Pottle und Michael Randle, seinen damaligen Fluchthelfern  ■  Von Ralf Sontschek

Samstag, 22. Oktober 1966. Als die Wärter im Londoner Gefängnis „Wormwood Scrubs“ um 19 Uhr die Gefangenen zählen, stellen sie fest, daß einer fehlt: George Blake, der zu 42 Jahren Haft verurteilte britische Doppelagent. Sofort wird eine großangelegte Fahndung nach dem nun meistgesuchten Mann Großbritanniens eingeleitet, doch Blake bleibt verschwunden. Zwei Monate später taucht er schließlich in Ost-Berlin auf. Die britische Regierung ist davon überzeugt, daß der sowjetische Geheimdienst KGB hinter dem ausgeklügelten Fluchtplan steckt. Erst nach Jahren dämmert es den Behörden, daß sie von drei Amateuren hereingelegt worden sind.

Gegen zwei der Fluchthelfer, Pat Pottle und Michael Randle, beginnt morgen der Prozeß vor dem „Old Bailey“ - mehr als 23 Jahre nach der Tat. In Großbritannien gibt es keine Verjährung. Die beiden haben im vergangenen Jahr das Buch The Blake Escape veröffentlicht und darin die Flucht detailliert geschildert. Es drohen ihnen mehrjährige Gefängnisstrafen. Darüber hinaus müssen sie mit der Beschlagnahmung des Buchhonorars rechnen - es gilt als „Ertrag aus einem Verbrechen“. Das entsprechende Gesetz ist vor drei Jahren in Großbritannien eingeführt worden, um an das Geld von Drogendealern heranzukommen. Es wäre das erste Mal, daß es auf Buchautoren angewendet wird.

Pottle und Randle lernten Blake im Knast kennen, wo sie eine 18monatige Haftstrafe für die versuchte Besetzung des US-Luftwaffenstützpunkts Wethersfield in Essex absitzen mußten. Beide waren Mitglieder des „Committee of 100“, der radikalen Anti-Atomorganisation von Bertrand Russell. Kurz bevor Pottle in den offenen Vollzug verlegt wurde, enthüllte Blake seinen simplen Fluchtplan: Er wollte mit Hilfe einer Strickleiter über die Gefängnismauer klettern. Pottle sollte die sowjetische Botschaft um Hilfe bei der Flucht ersuchen. Doch erst vier Jahre später wurde es ernst.

Randle war im Gefängnis mehrmals mit den Wärtern aneinandergeraten und durfte deshalb nicht in den offenen Vollzug. Er belegte in Wormwood Scrubs einen Abiturkurs, wo er Blake und den Iren Sean Bourke näher kennenlernte. Bourke war zu sieben Jahren verurteilt worden, weil er einem Polizisten, den er nicht leiden konnte, eine Briefbombe ins Haus geschickt hatte. Nach seiner vorzeitigen Entlassung wegen guter Führung nahm Bourke 1966 Kontakt zu Randle auf und erklärte ihm, daß er Blake befreien wollte. Randle und Pottle sollten lediglich etwas Geld für Fluchtauto und falschen Paß auftreiben.

Die Flucht selbst war ein Kinderspiel. Zwar hatte die Gefängnisleitung begonnen, die Sicherheitsmaßnahmen zu verstärken, nachdem sechs Gefangene ausgebrochen waren, doch Blakes Flügel kam erst dran, als der prominenteste aller Gefangenen bereits über alle Berge war. Am Abend des 22. Oktober 1966 kletterte Blake wie verabredet mit Hilfe einer Strickleiter auf die Mauer. Bourke wartete auf der anderen Seite mit dem Fluchtauto. Beim Sprung von der Mauer brach sich Blake den Arm. Aber die Schwierigkeiten begannen erst jetzt: Sämtliche Häfen und Flughäfen wurden überwacht, so daß Blake zunächst auf der Insel bleiben mußte. Nach mehrmaligem Wohnungswechsel zogen Bourke und Blake schließlich in Pottles Wohnung in Hampstead. Die Polizei wußte inzwischen von Bourkes Verwicklung in die Flucht, weil sie seine Wohnung - das erste Versteck - und das Auto gefunden hatte.

Randle kaufte einen alten, aber eingerichteten Campingwagen und baute mit Freundeshilfe einen doppelten Boden in den Campingschrank. Am 17. Dezember 1966 brach Michael Randle mit seiner Frau Anne und den beiden Kindern zu einem Kurzurlaub nach Berlin auf. Blake fuhr mit - im Schränkchen. Die Kleinfamilie auf Reisen wurde an den Grenzen nicht kontrolliert. Kurz vor West-Berlin stieg Blake auf der DDR -Autobahn aus und lief bis zum Kontrollpunkt Drewitz. Unterdessen hatte Pottle einen Paß in Bourkes Namen umgefälscht. Der Ire flog über Paris und Berlin nach Moskau, wo er Blake traf.

Aber damit hatte die Geschichte für Pottle und Randle noch kein Ende. Die Polizei tappte zwar noch im Dunkeln, doch das änderte sich 1970, als Sean Bourkes Buch The Springing of George Blake erschien. Bourke war ein eitler Gesell. Er hatte von Anfang an geplant, das Buch zu schreiben. Um später seine Tatbeteiligung beweisen zu können, legte Bourke Spuren für die Polizei. Er informierte sie durch anonyme Anrufe über das Versteck des Fluchtautos und über seine Wohnung. Er konnte es sich nicht verkneifen, am Tag seiner Abreise einen Abschiedsgruß samt Morddrohung an den Polizisten zu schicken, den er bereits fünf Jahre zuvor in die Luft sprengen wollte. Von alledem erfuhren Pottle und Randle erst durch Bourkes Buch. Bourke benannte auch seine Komplizen: Sie hießen bei ihm Pat Porter und Michael Reynolds. Da er sie jedoch detailliert beschrieb und die Verurteilung wegen der Besetzung des US-Stützpunkts erwähnte, bestand an ihrer Identität kein Zweifel. Bourke kehrte später nach Irland zurück, wo er 1982 starb.

Die Behörden haben inzwischen zugegeben, daß sie seit 1970 im Bilde waren. Sie sahen damals jedoch von einer Anklage ab - vermutlich wäre ein Prozeß gegen zwei „Amateure“ zu peinlich gewesen, nachdem jahrelang die Geschichte einer professionellen KGB-Aktion lanciert worden war. Erst als Pottle und Randle im vergangenen Jahr ihr Buch veröffentlichten, mußte die Staatsanwaltschaft reagieren. Die beiden Angeklagten wollen den Prozeß dazu nutzen, „das unmenschliche Urteil gegen Blake bloßzustellen und auf die Gefährdung der Demokratie durch die britischen Sicherheitsdienste hinzuweisen“. Sie werden einen schweren Stand haben: Der Vorsitzende Richter McPhearson ist Ex -Mitglied und „Oberst ehrenhalber“ der britischen Sondereinsatztruppe SAS.

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