Alkoholismus schon in der Wiege?

■ US-amerikanische Wissenschaftler entdecken signifikanten Zusammenhang zwischen einer bestimmten Genanomalie und Alkoholsucht / Gentechnologische Manipulationen im Kampf gegen die Droge denkbar

Alkoholismus hat nicht nur soziale Ursachen, sondern ist bis zu einem gewissen Grad erblich bedingt. Den ersten handfesten Beweis für diese nicht neue Vermutung glauben jetzt amerikanische Wissenschaftler gefunden zu haben. Sie stießen auf eine Genanomalie, die hauptsächlich im Erbgut von Alkoholikern auftritt. Wie Enoch Gordis vom amerikanischen „Nationalen Institut für Drogenmißbrauch und Alkoholismus“ bestätigte, treffen Alkoholsucht und das abnorme Gen „statistisch auffallend oft“ zusammen. Allerdings seien weitere Untersuchungen notwendig, um zu endgültigen Aussagen zu kommen.

Für ihre im Journal of the American Medical Association veröffentlichte Studie untersuchten Ernest Noble von der Universität Kalifornien und Kenneth Blum von der Universität Texas die Gehirne von siebzig verstorbenen Versuchspersonen. 35 der Personen waren Alkoholiker und starben an alkoholbedingten Krankheiten wie Leberzirrhose. Im Leben der anderen Personen spielte Alkoholismus keine Rolle . Die Alkoholismusforscher fanden die anomalen DNS-Sequenzen auf dem sogenannten „d2-Rezeptor„-Gen auf dem 11.Chromosom. Eine Abweichung trat in nur 28 Prozent des Erbmaterials der Vergleichspersonen, aber in 77 Prozent der Alkoholiker auf. Vom „d2-Rezeptor„-Gen ist bekannt, daß es eine entscheidende Rolle bei der Lust- und Sucht-Befriedigung unter Mitwirkung der Substanz Dopamin spielt.

Das Gen ist für die Bildung von Dopamin-Rezeptoren auf der Oberfläche bestimmter Nervenzellen im Gehirn verantwortlich. Wenn Nervenzellen stimuliert werden, schütten sie Dopamin aus, das an die Rezeptoren gebunden wird. Dies löst eine Serie von Reaktionen aus, die letztendlich den Drang nach Lustgewinn und Suchtverhalten steuern. Bereits in früheren Versuchen mit Ratten konnte eine Verbindung zwischen den Dopamin-Rezeptoren und Suchtverhalten nachgewiesen werden.

Finnische Wissenschaftler entdeckten, daß Ratten, die eine Vorliebe für Alkohol hegen, weniger Dopamin-Rezeptoren haben als andere Ratten. Sie versuchen den Mangel, so die Vermutung, durch stärkere und häufigere Stimulierung (mit Alkohol oder anderen Mitteln) ihrer Rezeptoren wettzumachen. Theoretisch könnte das jetzt gefundene anomale Gen die Zahl der Dopamin-Rezeptoren auf den Nervenzellen verändern oder ihre Fähigkeit, Dopamin zu binden, beeinflussen.

Gordis vermutet, daß das neu entdeckte Gen „nicht spezifisch für Alkohol“ ist, „sondern eventuell generell Appetit, Persönlichkeit und bestimmte Verhaltensformen beeinflußt“. Studienleiter Noble stimmt zu: „Der Herr hat kein Alkohol-Gen geschaffen, sondern ein Gen, das mit der Suche nach Lustgewinn zu tun hat.“ Mit der Entdeckung wird verständlicher, warum Kinder von Alkoholikern mit viermal größerer Wahrscheinlichkeit selbst Alkoholiker werden als Kinder von Nichtalkoholikern. Hinweise auf eine erbliche Komponente des Alkoholismus hatten zuvor bereits Studien mit Zwillingen und mit Adoptivkindern ergeben. Trotzdem, so die Autoren der Studie, könne kein einzelnes Gen - auch nicht das nun gefundene - für alle Formen von Alkoholismus verantwortlich gemacht werden. Immerhin waren einige der Versuchspersonen mit dem anomalen Gen nicht alkoholsüchtig; andere, die das Gen nicht trugen, waren es.

Die Forscher hoffen, mit ihrer Entdeckung einen entscheidenden Beitrag zur Bekämpfung des Alkoholismus leisten zu können. Präsident Bushs Großeinsatz gegen illegale Drogen mag darüber hinwegtäuschen, aber der Alkohol bleibt die gefährlichste Droge in den USA. Achtzehn Millionen Amerikaner leiden unter Alkoholismus, und jedes Jahr fordert die so beliebte Droge 100.000 Todesopfer. Eines von 500 amerikanischen Babies kommt geistig oder körperlich behindert zur Welt, weil die Mutter während der Schwangerschaft trank.

Noble und Blum wollen ihre Untersuchungsmethode künftig soweit verfeinern, daß das anomale Gen in einem einfachen Bluttest nachgewiesen werden kann. Menschen, die das Gen tragen, könnten dann gewarnt werden, mit bestimmten Genußmitteln besonders vorsichtig umzugehen. Weiterhin besteht die Möglichkeit, die Neigung zum Alkoholismus durch bestimmte Medikamente zu zügeln, die auf die Dopamin -Rezeptoren wirken. In der ferneren Zukunft - die Forscher halten das ausdrücklich für denkbar - könnten sich die Gentechnologen mit chirurgischen Eingriffen am „d2-Rezeptor“ -Gen, Chromosom 11, zu schaffen machen.

Silvia Sanides