: Urteil gegen „Konterrevolutionäre“ aufgehoben
■ Erich Loest, Ralf Schröder, Ronald Lötzsch und andere vom Obersten Gericht der DDR rehabilitiert / Lapidare Korrektur in zehn Minuten statt Aufhellung der Vergangenheit / DDR-Regierung kann nicht mehr um Vergebung bitten, weil es die von damals nicht mehr gibt
Berlin (taz) - Der Prozeß hatte seinerzeit vor dem Bezirksgericht in Halle stattgefunden, das Urteil wurde gestern vom Obersten Gericht in Berlin kassiert. Dazwischen liegen zweiunddreißig Jahre. Fünf Menschen waren 1957 angeklagt: der Schriftsteller Erich Loest, der Slawist Ralf Schröder und die Sprachwissenschaftler Herbert Lucht, Ronald Lötzsch und Harry Schmidtke.
Vorgeworfen wurde ihnen, sie hätten „konterrevolutionäre, staatsfeindliche Gruppen“ gebildet. Jetzt stellte das Oberste Gericht in Anwesenheit von drei der fünf Verurteilten fest, daß sie ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrgenommen hatten. Damals hatten sie dafür, daß sie im Freundeskreis und unter Bekannten über Entstalinisierung und Reformen in der DDR diskutierten, Zuchthausstrafen zwischen drei und zehn Jahren erhalten.
Es war einer von mehreren solchen Prozessen gewesen, mit denen verhindert werden sollte, daß die sowjetische Entstaliniserung nach dem XX. Parteitag auf die DDR übergriff. Alle diese Urteile waren klare Fälle von Rechtsbeugung. Doch das Oberste Gericht hat sich seine Aufgabe leicht gemacht. In etwa zehn Minuten wurde der Antrag der Generalsstaatsanwaltschaft auf Aufhebung des Urteils verlesen. Begründung: Es habe gegen geltendes Recht verstoßen. Am Nachmittag des gleichen Tages wird das Urteil verkündet.
Die politischen Hintergründe des damaligen Verfahrens, die Namen, Motive und Verantwortlichkeiten der Drahtzieher und ihrer Justizmarionetten wurden nicht mehr thematisiert.
In Leipzig war es 1957 das Umfeld von Ernst Bloch und Hans Mayer, das man einschüchtern wollte, und als das nichts fruchtete, ins Zuchthaus warf. Erich Loest war zudem zum Verhängnis geworden, daß er seinen Freund Gerhard Zwerenz, Assistent bei Bloch, auch dann noch verteidigte, als der zum Objekt einer Diffamierungskampagne geworden war und sich dem Zugriff der „Stasi“ durch Flucht in den Westen entzog. „Wer sich schützend vor unseren Feind stellt“, schrieb im November 1957 die Studentenzeitschrift 'Forum‘, „ist selbst unser Feind.“ Für die Solidarität in eisiger Zeit mußte Erich Loest im Zuchthaus Bautzen sieben Jahre absitzen.
Nach seiner Haftentlassung arbeitete Loest wieder als Schriftsteller in der DDR.
Nach neuerlichen Konflikten mit Staat und Schriftstellerverband siedelte er 1981 in die Bundesrepublik über. Das DDR-Establishment hat Loest nie verziehen, daß er sein Opfer war. Noch 1987 wurde eine Delegation des bundesdeutschen Schriftstellerverbandes für den DDR -Schriftstellerkongreß ausgeladen, weil einer der beiden Gäste Erich Loest sein sollte.
Am Ende seines 1981 veröffentlichten autobiographischen Romans Durch die Erde ein Riß schreibt Erich Loest: „Nicht an das Vergangene rühren - und er kam doch Jahre später zu der Ansicht und äußerte sie: Die Regierung der DDR habe seine Frau, seine Kinder, seine Schwiegereltern und seinen Vater und schließlich ihn selbst um Vergebung zu bitten. Natürlich tat sie das nie.“ Die Kassation des Urteils von damals ist diese Bitte nicht.
Die Regierung der DDR kann nicht mehr um Vergebung bitten. Diese Regierung gibt es nicht mehr - nicht zuletzt deshalb, weil sie sich zu einem solchen Schritt früher nicht durchzuringen vermochte.
Walter Süß
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