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„Einen gemeinsamen baltischen Markt wird es nicht geben“

Der estnische Bankenchef Otsason will eine eigene Währung einführen, die nach Westen hin konvertibel sein soll / Gegenüber der Sowjetunion soll weiterhin der Rubel gelten / Otsason sieht für die traditionellen landwirtschaftlichen Produkte Estlands einen Markt in den skandinavischen Ländern  ■  I N T E R V I E W

taz: Wie steht er oberste Banker Estlands zu Gorbatschows Vorschlag einer Konföderation der drei baltischen Staaten mit der Sowjetunion?

Otsason: Schwierige Frage. Noch vor einem halben Jahr wäre dieser Vorschlag praktikabel gewesen. Selbst unsere radikalsten estnischen Politiker haben vor einem Jahr von der sowjetischen Regierung nicht mehr gefordert als einen neuen Bundesvertrag. Innerhalb von fünf Jahren sollte dann über die beste Lösung der Unabhängigkeitsfrage beraten werden. Gorbatschow lehnte damals ab. Heute erscheint ihm das Ganze als gute Idee. Aber jetzt ist es zu spät. Die Mehrheit der Esten traut der sowjetischen Regierung nicht mehr. Der Vorschlag einer neuen ökonomischen Union wäre keine schlechte Idee.

Gäbe es eine Überlebenschance für Estland, wenn die Sowjetunion die ökonomischen Beziehungen kappen würde?

Estland ist auf ökonomische Verflechtung angewiesen. Zukünftig können wir sicher mit westlichen Ländern kooperieren, aber jetzt ist die Sowjetunion unersetzbar.

Es gibt sowjetische Auffassungen, nach denen Kommunikationsmittel, Kraftwerke, ein Teil der Produktionsmittel Eigentum der Union sind. Ihre Meinung?

Das klingt vernünftig, ist aber in Wirklichkeit absurd. Zunächst einmal ist ein Teil dieser Anlagen schon im unabhängigen Estland entstanden. Ausschlaggebend ist aber, daß alles, was aus dem allsowjetischen Budget finanziert wurde, auch von den baltischen Staaten mitfinanziert wurde. Sollen wir jetzt einen Anteil an dem Kongreßgebäude im Kreml verlangen?

Sie wollen jetzt eine eigene Währung, die Krone, etablieren. Im Verhältnis zur SU soll weiterhin in Rubel gehandelt werden, Richtung Westen wird die Krone konvertierbar sein. Wie soll das laufen?

Wir werden nicht sofort zur Konvertierbarkeit übergehen. Richtung Westen werden wir 8 Kronen für einen Dollar festlegen, wobei die Relation zum Rubel 1:1 ist.

Also eine Unterbewertung?

Genau. Wir wollen die Exporte stimulieren und die Einfuhr begrenzen. Wenn die Zahlungsbilanz positiv ist, werden wir die Relation zugunsten der Krone verändern. Gleichzeitig wollen wir die Konvertierbarkeit des Rubel begrenzen. Unsere Betriebe können für den Handel mit der SU Rubelkonten unterhalten. Für die sowjetischen Touristen wird es eine Umtauschgrenze geben, und der Kurs wird der Nachfrage entsprechen. Vielleicht 2 Kronen - 1 Rubel.

Wir haben bereits im Dezember ein Bankengesetz erlassen, unsere Zentralbank und die Kommissionsbanken funktionieren. Das geschah in Übereinstimmung mit dem sowjetischen Gesetz vom letzten November, wo übrigens festgelegt wurde, daß in allen inneren Finanzangelegenheiten Estlands Republikrecht Bundesrecht bricht.

Wie konkret sind die Pläne für einen baltischen gemeinsamen Markt?

Ein geschlossenes Wirtschaftssystem „Baltischer Markt“ wird es nicht geben. Gegenseitige Hilfe bei sowjetischen Pressionen könnte im Energiebereich, bei der Leicht- und der Maschinenindustrie funktionieren.

Eine Zollunion ist möglich, eine Währungsunion noch nicht.

Welche estnischen Produkte sind auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig?

Tourismus, Holzprodukte, Leichtindustrie. Wir hatten vor 20 Jahren noch viele Lebensmittel nach dem Westen exportiert.

Welche Beziehungen gibt es zu Finnland?

Sie sind eng, aber nicht exklusiv. Viele unserer jungen Betriebsleiter sind in Finnland ausgebildet worden und kennen den finnischen Markt. Jetzt haben wir ganz Skandinavien und die BRD im Blickfeld.

Wollen Sie sich der Efta anschließen?

Der Weg nach Westen führt über die Efta.

Wie steht es mit Kapitalimporten?

Es gibt Projekte für Joint-ventures und einige westliche Banken haben uns Kredite angeboten. Wir müssen natürlich vorsichtig sein und müssen das Risiko genau kalkulieren.

Sind sie optimistisch hinsichtlich der Unabhängigkeit?

Ich bin Realist. Die Entwicklung der demokratischen Kräfte in der Sowjetunion, die uns unterstützen, wird von ausschlaggebender Bedeutung sein.

Christian Semler

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