: Memminger Hexenverfolgung geht weiter
■ Bayerisches Oberstes Landesgericht hebt Freispruch wegen Schwangerschaftsabbruch auf / Notlagenindikation demontiert
München (taz) - Zwei Jahre ist es her, daß Margarethe Federlin vor dem Landgericht Memmingen vom Vorwurf der rechtswidrigen Abtreibung freigesprochen wurde. Im Zusammenhang mit den „Memminger Hexenprozessen“ hatte Staatsanwalt Peter Stoeckle die 29jährige vor Gericht gezerrt. Sie war eine der wenigen Frauen, die es wagten, sich gegen ihre Verurteilung durch das Memminger Amtsgericht zu wehren. Gestern jedoch hob das Bayerische Oberste Landesgericht den Freispruch auf. Der Revision der Staatsanwaltschaft wurde stattgegeben und das Verfahren an das Landgericht in Memmingen zurückverwiesen.
In seiner Begründung erklärte der Vorsitzende Richter Briessmann, das Landgericht habe nicht ausreichend geprüft, ob die durch den Arzt festgestellte soziale Indikation tatsächlich vorlag. Die Überprüfung der sozialen Indikation habe der Gesetzgeber vor allem den Richtern zugewiesen, so Briessmann. Diese Entscheidung könne nicht allein dem Arzt überlassen bleiben, „weil er eben nicht an Recht und Gesetz gebunden ist, wie das Gericht“. Als weiteren Fehler des Verfahrens bezeichnete der Richter, daß das Memminger Landgericht der Angeklagten nicht zumutete, das Kind auszutragen und zur Adoption freizugeben.
Damit argumentierte der Richter ganz im Sinne der bayerischen Justizministerin, Mathilde Berghofer-Weichner (CSU). Sie hatte bereits einen Gesetzentwurf zur Erleichterung der Freigabe bei Adoption in der Schublade. Doch nicht nur in diesem Punkt unterstützte die richterliche Begründung die vom Freistaat betriebene Demontage des Paragraphen 218. Das Gericht behauptete nämlich weiter, die soziale Indikation sei lediglich ein „Schuldausschließungsgrund“, der die Schwangere und den Arzt zwar vor Strafe schütze. Grundsätzlich bleibe aber auch eine Abtreibung aufgrund sozialer Indikation „rechtswidrig“. Damit unterstützt das Gericht die von der bayerischen Staatsregierung eingereichte Verfassungsklage. Bleibt der Schwangerschaftsabbruch nämlich auch im Falle einer Notlagenindikation rechtswidrig, kann die Krankenkasse jederzeit eine Finanzierung verweigern. Diese „Abtreibung auf Krankenschein“ will der Freistaat durch den Gang nach Karlsruhe verhindern. Außerdem betonte Richter Briessmann den „Vorrang des Lebensschutzes gegenüber dem Vorrang der Selbstbestimmung der Frau“. Da sich Margarethe Federlin nicht ausreichend habe beraten lassen, sei der Freispruch fehlerhaft. Inzwischen seien sicher neue „Hilfsangebote für Schwangere“ hinzugekommen.
Luitgard Koch
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