: Wenn Polizisten erzählen
■ Buch zur Geschichte der Kriminalpolizei in Bremen / Besprochen vom Bremer Krimi-Autor J.Alberts
Unter dem ungewöhnlichen Titel „Mehr als sieben Stunden“ ist ein ungewöhnliches Buch erschienen: Zwei frühere Kriminalbeamte berichten über die Geschichte der Bremer Kripo. Der Titel bezieht sich auf jene sieben „dunklen“ Stunden der bremischen Polizei während des sogenannten Geiseldramas im August 1988. Der Herausgeber und Bearbeiter des Buches, der frühere Landeskriminalrat Dr. Herbert Schäfer, schreibt dazu: „Es besteht die Gefahr, daß die Polizei an jenen Ergebnissen und an de
ren fatalen Ausgang gemessen wird.“
So will er diesen Band der „Kriminalistischen Studien“ auch verstanden wissen als Rehabilitierung der täglich arbeitenden KollegInnen. Vielleicht ist dies ein wenig eng gefaßt, wenn man betrachtet, was die beiden Kriminalisten Krämer und Siebke ausbreiten: Eine dokumentarisch reiche Sammlung, die im Sinne einer „Geschichte von unten“ die Entstehung der Kripo aufzeigt. Wer weiß schon, daß es bereits 1908 weibliche Polizeiassistentinnen gab, um weibliche Personen zu verhören. In deren Dienstanweisung hieß es: „Ohne Erlaubnis der Polizeidirektion ist es ihnen nicht gestattet, eine Nacht außerhalb der Stadt Bremen zuzubringen.“ (§9). 1919 gab es die ersten Wirtschaftskriminalisten, die sich zunächst mit Kapitelschiebern, Kettenhändlern und Schmugglern zu befassen hatten.
Krämer beschreibt, wie seit Anfang der 20er-Jahre der Kampf um Planstellen geführt wurde. (Also auch da gibt's Traditionen). Und dann wirds spannend: Der Kriminalrat beschreibt mit Distanz und politischer Kühle, wie die Faschisten die Kripo „gleichgeschaltet“ haben. Entscheidend war die Neutralität einer Polizei, die im Laufe der ersten Monate des Jahres 1933 nach und nach „politisiert“ und indoktriniert
wurde. Von Anfang an wurden Kripo-Beamte Zeugen von Aktionen außerhalb der Legalität. Sie sahen zu, wie der Bürger Friedrich Schierloh im September 1933 mit einer Pauke - auf die er einschlagen mußte - und einem Schild um den Hals: „Ich bin ein Lügner!“ durch die Stadt ziehen mußte, weil er sich abfällig über einen Senator geäußert hatte. Die Kripo und die Schutzpolizei griffen nicht ein und ließen die SA Schierloh schikanieren.
Oder die Beschreibung der „Reichspogromnacht“ 1938. Mitten in der Nacht wurde Krämer ins Polizeihaus zitiert. Die Polizisten mußten geschlossen zur Synagoge marschieren und schauten zu, wie SA-Männer Benzinkanister in das Gotteshaus brachten und entzündeten. „Für die Kriminalbeamten gab es nichts zu tun, als zu beobachten.“ Sie sahen den Rechtsbrechern zu und durften später nicht einmal die Mörder der fünf Juden verfol
gen, die von der SA in dieser Nacht umgebracht wurden. Insofern ist Krämers Beitrag auch eine Studie dafür, wie Unrechtsbewußtsein eingeübt wurde.
Der Autor starb 1988 im Alter von 105 Jahren. Man hätte ihn gerne erzählen hören. Auch der zweite Autor und Kripobeamte, Richard Siebke, wurde ziemlich alt: 87 Jahre. Siebke wurde 1933 aus der Polizei entlassen, weil er aktives SPD-Mitglied war. Sein Text ist leider sehr gerafft und zu oft bloß zitiert. Er beschreibt den Wiederaufbau zwischen 1945 und 1952. Von ihm erschien im Selbstverlag das Buch „Die Wette“, in dem er seinen Lebensweg skizziert. Vielleicht reicht uns der Fachschriftenverlag diesen Text mal nach. Insgesamt ist das Buch „Mehr als sieben Stunden“ ein gutes Beispiel für die dokumentarische Literatur von betroffenen Zeitzeugen. Jürgen Alberts, u.a. Autor einer Bremer Krimi-Reih
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