: „Mischung von Manhattan und Marzahn“
■ Senatsplanung für Hochhausbebauung auf dem Moabiter Werder wird von Allparteienkoalition in der BVV Tiergarten abgelehnt / Öffentliche Anhörung gefordert / Planer üben Kritik an Bürgerbeteiligungsverfahren / Umweltsenatorin Schreyer steht nach wie vor zu der Planung
Tiergarten. Hier werde „Rot-grün“ in Beton gegossen, spottet man in der Öffentlichkeit über das erste größere vom neuen SPD/AL-Senat zu verantwortende Bauprojekt auf dem Moabiter Werder. Um nicht weiter als „hilflose Büttel der Senatsverwaltung“ beschimpft zu werden, haben sich jetzt in parteiübergreifender Einmütigkeit die Tiergartener Bezirksverordneten von AL, CDU und SPD gegen die von Bau und Umweltsenat geplante 16stöckige Hochhausbebauung ausgesprochen. In einem Beschluß des Stadtplanungsausschusses wird ferner eine öffentliche Anhörung und eine Überarbeitung der bisherigen Planungen im Sinne eines wirklich ökologischen Stadtumbaus gefordert.
Wie berichtet, sollen auf dem ehemaligen Gelände des Hamburg-Lehrter Güterbahnhofs in zwei Bauabschnitten 1.200 Wohnungen, kombiniert mit Teilen der Bundesgartenschau 1995, entstehen. Die Geschichte der Planungen liest sich wie ein Hohn auf den vom Umweltsenat propagierten Begriff „ökologischer Stadtumbau“. Im Rahmen der Planungen zum Zentralen Bereich schrieb der damalige Umweltsenator Starnick 1988 einen internationalen Wettbewerb für das Moabiter Werder aus. 400 Wohnungen und ein Ausstellungsgelände für die Buga 95 waren die Vorgaben. Die Entscheidungen der Jury, drei überwiegend mit Hochhausarchitektur arbeitende Entwürfe zu prämieren, stieß bereits damals auf Unverständnis.
Neue Hoffnungen setzten deshalb Teile der Fachöffentlichkeit und Tiergartener Politiker in den neuen Senat, der in den Koalitionsvereinbarungen „Umweltverträglichkeitsprüfungen bei allen öffentlichen Planungen“, „Transparenz des Verwaltungshandelns“ und im „Hinblick auf eine grüne Mitte eine Neugestaltung der Planungen für den Moabiter Werder“ versprochen hatte. Stattdessen wurde angesichts der Wohnungsnot die Anzahl der zu errichtenden Wohnungen von Bausenator Nagel „husarenstreichartig“, wie die AL bemerkte, auf 1.200 festgelegt. Aus dem Hause Schreyer steuerte man einen Auftrag zur Überarbeitung der Pläne der ersten zwei Wettbewerbssieger bei. Was dabei herauskam, sind die in der vorgezogenen Bürgerbeteiligung vorgestellten Alternativen A und B: der Entwurf Gigantes/Zenghelis (nomen est omen?) mit zwei 13geschossigen „Turmhäusern“ und 7geschossigen „Scheibenhäusern“ und der Entwurf der Berliner Architekten Reidemeister/Glässel mit sechs 16geschossigen „Atriumtürmen“ und 5geschossigen „Zeilenbauten“. Nach Aussagen von Planern keine Alternativen, sondern bestenfalls Varianten. Hans-Jörg Reiher, Schinkelpreisträger eines früheren Wettbewerbs: „Die Bürgerbeteiligung ist eine scheinbare und entspricht nicht dem Baugesetzbuch.“ „Einen Wust an Verfahrensfehlern“ sieht auch Rosemarie Reuter, die in einem TU-Projekt unter Professor Trillitzsch zusammen mit einer Planergruppe einen Entwurf erarbeitete, den sie inzwischen dem Bezirksamt als „kostenlose Variante“ angeboten hat. Das Hochhaus gelte als Sinnbild der Isolation des Individuums; zu allem Überfluß seien die Hochhaustürme überwiegend mit Singlewohnungen bestückt. Die Idee vom „kommunikativen Wohnen“, wofür es vor allem in den Niederlanden Beispiele gebe, sei hier nicht berücksichtigt worden. Der Ruf „Karlchen, schmeiß mir mal den Schlüssel runter“, für Hans-Jörg Reiher eine gute alte Faustregel für Architekten, wird nun wohl in der Weite des Raumes verhallen. Nicht nur diese beiden Planer kritisieren, daß eine Umweltverträglichkeitsprüfung nicht vorgenommen und die Planungen „hinter verschlossenen Türen und dem Rücken der Öffentlichkeit“ ausgeführt wurden.
Mit „Transparenz des Verwaltungshandelns“ war sicher auch nicht gemeint, daß der sowohl unter dem CDU/FDP-Senat als auch bei Senatorin Schreyer verantwortliche Planer für den Bereich Moabiter Werder, Bernd Faskel, inzwischen die Senatsdienste verlassen hat und als Leiter der „Entwicklungsgesellschaft Moabiter Werder“, einer GSW -Tochter, nunmehr für die Baubetreuung zuständig sein wird. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. So treffen nach Aussagen von Beate Profe aus dem Hause Schreyer auch Vorwürfe nicht zu, wonach sich die Umweltsenatorin von Teilen ihrer Verwaltung habe „über den Tisch ziehen lassen“. Die Entscheidung für die Hochhausbebauung sei von Frau Schreyer „bewußt“ im Einvernehmen mit dem Hause Nagel getroffen worden. Man habe „Grundsatzzweifel, ob es wirklich mehr als die nun in der Diskussion befindlichen Varianten“ gebe.
Einer der wenigen mit der Hochhausplanung Zufriedenen ist Buga-Geschäftsführer Gottfriedsen, „weil sie Freiraum lasse für die Buga“. Allerdings habe auch die Buga vehement gegen die nun zur Debatte stehenden Ausführungen protestiert, weil „der verbleibende Raum zwischen Häusern und Spree nicht im entferntesten der landschaftlich vorgegebenen Situation entspricht“.
Tiergartens Baustadtrat Porath (SPD) ist es „letztendlich egal“, welche Art der Bebauung den Moabiter Werder zieren soll, weil er die unterschiedlichen fachlichen Aussagen „nicht beurteilen kann“. Sein Kritikpunkt ist vor allem die nicht genügend berücksichtigte Infrastruktur. Wie bekannt, fehlen in Tiergarten bereits jetzt Grundschulen, Kindertagesstätten und Spielplätze. Porath plädiert für eine Besinnungspause im Hauptstadtgerangel. Als „absoluten Schwachsinn“ bezeichnet er Positionen, „das Regierungsviertel könne nur hier in West-Berlin sein“. Einig ist sich jedoch Porath mit seinem Parteigenossen Heiermann, der immerhin einen „Widerspruch zwischen dem Begriff 'ökologischer Stadtumbau‘ und Hochhausbebauung“ sieht.
Etwas paradox mutet es an, wenn plötzlich der Tiergartener CDU-Politiker Volker Liepelt zu den unter der Regierungsverantwortung seiner Partei entstandenen Plänen alte Positionen der AL vertritt. Er sieht in der „Zubetonierung des Moabiter Werders Stadtqualität in einer Mischung von Manhattan und Marzahn“ entstehen und befürchtet „eine der größten stadtplanerischen Fehlleistungen der letzten Jahre“. Im Sinne einer für Tiergartener Bürger vernünftigen Stadtplanung kann es jedenfalls nicht schaden, wenn - wo SPD- und AL-Senat versagen - die CDU jetzt auf die Einhaltung der Koalitionsvereinbarungen pocht.
Sigrid Bellack
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