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Technokratische Geschichtsbewältigung

■ Lea Rosh‘ und Eberhard Jäckels Fernseh-Dokumentation „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“ über Judenverfolgung und Kollaboration in Europa / „Enzyklopädisch“ verfremdetes Monumentalwerk

Keine Frage - ich verehre Lea Rosh. Sie ist eine der wenigen, die das Grauen nicht verdrängen; ihr Name ist ein Garant für schonungslose Ehrlichkeit beim Umgang mit der deutschen NS-Vergangenheit. Gerade da schmerzt es, daß mit ihrem neuen Film Der Tod ist ein Meister aus Deutschland, den sie zusammen mit dem Historiker Eberhard Jäckel gedreht hat, etwas schiefgegangen ist. Das sechsstündige Fernseh-Werk ist über weite Strecken langweilig.

Es ist die längste und aufwendigste Produktion über die NS -Judenvernichtung, die das deutsche Fernsehen je in Auftrag gegeben hat. In zwölf Ländern Europas haben Lea Rosh und Eberhard Jäcke filmen können. Entstanden sind vier Folgen von je 90 Minuten; dazu noch ein begleitendes Buch. Für das

-wie Lea Rosh es unlängst auf einer Vorführung vor Journalisten selbst bezeichnete - „enzyklopädische Werk“ haben die beiden Filmautoren Dokumentationsmaterial zusammengestellt, vor allem unter dem Gesichtspunkt der Kollaboration und der Verweigerung, Szenen aus Spielfilmen herangezogen, überlebende Zeugen interviewt, Experten befragt, Schauplätze aufgesucht, zum Teil waren es spektakuläre Drehorte wie etwa Gebiete in der UdSSR, in die erstmals ausländische Journalisten vorgelassen wurden. Der Weg dieser Dokumentation beginnt in Wien, von wo aus der erste Deportationszug in den Osten fuhr; der Film führt dann in alle Himmelsrichtungen Europas.

Daß die vier Folgen trotz des gigantischen Aufwandes eher langweilig sind, hat nichts mit der Länge zu tun. Ich habe neun Stunden Shoa von Claude Lanzmann gesehen und mochte den Blick nicht eine Sekunde abwenden. Dagegen befiel mich bei Der Tod ist ein Meister aus Deutschland, bereits nach den ersten Szenen Müdigkeit. Das hat mehrere Gründe.

Der Umgang mit dem Thema wirkt mitunter geradezu technokratisch. Egal in welchem Land Lea Rosh überlebende Zeugen interviewt, fast immer stellt sie die gleichen Fragen: Wo wurden die Juden festgenommen? Wieviele waren es genau? Was wußten sie von ihrem Los? Wie verhielten sich die Nachbarn? Was tat die nationale Polizei? Wo wurden sie hintransportiert? Von welchem Bahnhof aus? Mit welchem Zug? Man erfährt viele Details, kaum aber neue Einsichten.

Die beiden Filmautoren enthalten sich der länderübergreifenden Analyse. Die verwirrende Vielfalt führt jedoch manchmal zu unbeabsichtigten, falschen Rückschlüssen. Man lernt zum Beispiel, daß fast überall Kollaborateure die Judenverfolgung ermöglicht haben. In Rumänien fanden bereits vor dem Krieg Pogrome statt; in den Niederlanden unterwarf sich der gesamte Polizeiapparat widerstandslos dem NS -Befehl; das Vichy-Frankreich lieferte freiwillig jüdische Flüchtlinge aus.

Wollen Lea Rosh und Eberhard Jäckel die Deutschen etwa entlasten? Natürlich ist alles andere ihre Absicht. Dennoch vermittelt der Film eine Zeitlang diesen Eindruck.

Die Bulgaren haben fast alle Juden des Landes gerettet. In Rumänien dagegen stieß die geplante Vernichtung des jüdischen Volkes zunächst auf große Zustimmung. Warum war die Bevölkerung in Bulgarien nicht genauso antisemitisch eingestellt wie im Nachbarstaat Rumänien, fragte eine Zuschauerin Lea Rosh während der Vorführung des Film vor Journalisten. Lea Rosh konnte nur vermuten: Weil die Juden in Bulgarien sehr assimiliert und integriert waren. Heißt das, daß Assimilation Toleranz fördert?

Aber warum ist dann die Judenvernichtung ausgerechnet von Deutschland ausgegangen, wo die Juden am assimiliertesten waren? Und warum hat Belgien mit all seinen orthodoxen Juden immerhin 50 Prozent gerettet, Holland mit all den assimilierten dagegen nur 20 Prozent? Weil die Holländer „brave leute“ seien, die die Anweisungen ihrer Vorgesetzten ausführten, meinte Lea Rosh, die Belgier aber auf eine Tradition des Widerstandes zurückblicken könnten. Diese Antwort kann wiederum nicht befriedigen angesichts der vermutlich nicht weniger „braven“ Dänen, die in einer einmaligen Aktion 99 Prozent ihrer Juden retteten, indem sie sie nachts mit Fischerbooten nach Schweden brachten.

Der Film kreist an einer diffusen Oberfläche. Zwischendurch sieht man Lea Rosh zusammen mit Eberhard Jäckel auf einer Drehscheibe im schalldichten Fernseh-Studio stehen. Eingeblendete Photos, Schautafeln und Karten bilden den Hintergrund. Rosh befragt Jäckel zu historischen Ereignissen. Es wirkt wie eine einstudierte Unterhaltung. Er redet aufgesetzt langsam; beide formulieren bemüht einfach. Das von der Außenwelt abgeschirmte Gespräch wirkt vom Thema regelrecht entfremdet. Ungeschickte Begriffe wie „Verluste“ ( Opfer) oder „die Sache“ ( Verfolgung) verstärken den Abstand zwischen den beiden Filmautoren und ihrem Thema.

Diesen Abstand symbolisieren auch die zum Teil unfreiwillig komischen Aufnahmen, in denen Lea Rosh während des Interviewens im Bild ist. Meist steht sie drei bis fünf Meter von der interviewten Person entfernt. Ein Gespräch ist in dieser Entfernung schwer möglich; fast rufen sich beide Seiten Fragen und Antworten gegenseitig zu. Vermutlich soll der künstliche Abstand die eigenständige Aura des Interviewten fördern. Tatsächlich aber verhindert er das Entstehen jener Nähe zum Betroffenen, die notwendig ist, damit sich der Zuschauer in das jeweilige Schicksal hineinversetzen kann.

Einer emotionalen Nähe stehen auch die vielen Zahlenangaben im Weg, auf die Lea Rosh offenbar großen Wert legt. Ist es so wichtig zu wissen, daß auf einer Gedenktafel in Oslo zwischen den Hunderten Namen ermordeter Juden exakt zehn fehlen? Oder daß auf einen Lastwagen zwanzig Menschen passen, oder aber, daß es sich bei der Hälfte der norwegischen Juden, die überleben konnten, „genau gesagt“, um 930 handelte? Lea Rosh‘ Bemühen, auch noch den letzten Verfolgten in die Statistik aufzunehmen, ist zuweilen penetrant und zeugt von einer gewissen Hilflosigkeit angesichts der historischen, psychologischen und philosophisch-religiösen Tiefe dieses riesigen Themas.

„Haben Sie sich mit dem Antisemitismus und seinen Hintergründen beschäftigt?“, wurde Lea Rosh während der Vorführung vor Journalisten gefragt. Ihre Antwort war verblüffend: „Das ist nicht mein Thema. Mich interessierte bei diesem Film nur die Frage nach der Kollaboration und dem Widerstand.“ - Wie kann man einen so umfangreichen Film über den Mord an den Juden drehen, wenn die Hintergründe kein Thema sind?

„Inwiefern haben Sie sich unabhängig von diesem Film mit dem Judentum auseinandergesetzt?“, lautete eine andere Frage während der Vorführung. Auch hier wieder eine Antwort, die eher abwürgt: „Dafür habe ich keine Zeit. Ich mache schließlich noch eine Talk-Show. Außerdem habe ich mit Religionen nicht viel am Hut.“ Kein Thema, keine Zeit, nichts am Hut - das sind keine Antworten. Das ist vielmehr ein Zeichen für eine nur begrenzte Identifikation mit dem Thema des Films.

Bezeichnend ist, daß die beiden Autoren bei der Wahl ihres Titels auf eine Zeile aus Paul Celans Todesfuge zurückgriffen, also auf das Werk eines anderen, und keinen Titel aus den eigenen Interviews und Studio-Aufnahmen ableiteten. In den ergreifenden Anfängen der jeweiligen Sendungen steckt dank Paul Celan genau das, was dem Rest des Films fehlt. Parallel zu Kameraaufnahmen von den Vernichtungslagern erklingt seine Stimme. (Ein Lob gebührt übrigens nicht nur an dieser Stelle - dem Kameramann Rainer Koch.) Celan spricht die Todesfuge. In seinen Worten vibriert jene unverfremdbare, persönliche Identifikation, die auch Filmwerke wie Claude Lanzmans Shoa, Marcel Ophüls Hotel Terminus oder Eberhard Fechners Der Prozeß faszinierend und unvergeßlich macht.

Auch in diesen Filmen, die sich als Vergleich zu Der Tod ist ein Meister aus Deutschland aufdrängen, spielt Kollaboration beziehungsweise ähnliches Verhalten wie „Mitmachen“ und „Mitläufertum“ eine wesentliche Rolle. Die Helfershelfer tauchen jedoch nicht nur in Form von Zahlenangaben oder Berichten Dritter auf, sondern sprechen als Interviewte für sich selbst.

Hätte Lea Rosh nicht wie die Regisseure dieser Filme ein paar jener Menschen, um die es zu einem großen Teil in ihrem Film geht, vor die Kamera zu bekommen - die Kollaborateure? Sie aufzuspüren und zu Aussagen zu bewegen, ist natürlich schwer. Ihre Hintergründe, ihre Motivationen und ihre Psychen veranschaulichen das Funktionieren des Völkermordes aber garantiert besser als genaue Angaben auf Fragen wie: Waren es Esten oder Deutsche, die auf Juden schossen? Waren es Franzosen oder Deutsche, die Juden verhafteten?

Schade. Das Thema Kollaboration ist ein wichtiges Thema zum Verständnis der Juden-Verfolgungen in der NS-Zeit. Die „enzyklopädische“ Methode erscheint jedoch bei der Aufarbeitung dieses Aspekts nur begrenzt geeignet.

Elisa Klapheck

Den ersten Teil der sechsstündigen Dokumentation sendet die ARD am Sonntag abend um 21.50 Uhr. Die weiteren Folgen werden in den nächsten Wochen in den Dritten Programmen zu unterschiedlichen Zeiten ausgestrahlt (im West 3 am Mo., Di., Mi., Fr., im N 3 ab Mi).

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