: Frauenarbeitslosigkeit als Problem Nummer1
■ Interview mit Petra Tesch, Stadträtin für Gleichstellungsfragen beim Berliner Magistrat / 44 Prozent der Anträge auf Arbeitslosenunterstützung wurden von Frauen gestellt / Quotierung in kommunalen Verwaltungen wird angestrebt
Seit dem 10. April 1990 arbeitet Petra Tesch als Gleichstellungsbeauftragte des Magistrats im Roten Rathaus. Die 29jährige Dolmetscherin ist verheiratet und hat ein Kind. Ihr neuer Wirkungsbereich ist mit fünf Planstellen ausgestattet.
taz: Was sind die Aufgaben einer Gleichstellungsbeauftragten?
Petra Tesch: Ich sehe als das wesentlichste zur Zeit die Beachtung und Beeinflussung der Arbeitsmarktsituation im Interesse von Frauen an. Hinzu kommt für mich die Schaffung einer Infrastruktur für Frauen, die zumindest den Stand von West-Berlin erreichen soll. Wir wollen ein Netz von Frauenzentren, -bibliotheken, -cafes und -häusern sowie ein Frauenarchiv fördern, damit Frauen, die in nächster Zeit absehbar stark von Arbeitslosigkeit betroffen sein werden, Möglichkeiten haben, ihre Freizeit sinnvoll miteinander zu verbringen, damit sie überall Beratungsstellen finden, an die sie sich mit ihren Problemen wenden können.
Welche Möglichkeiten haben Sie als Stadträtin für Gleichstellungsfragen?
In Berlin haben wir ein eigenes Veröffentlichungsrecht und das Mitzeichnungsrecht bei allen Vorlagen des Magistrats. Ohne unsere Unterschrift kann eine Vorlage nicht verabschiedet werden und muß, wenn wir es verlangen, noch einmal unter dem Aspekt der Gleichstellung von Frau und Mann überarbeitet werden. Hinzu kommt, daß alle Abteilungen des Magistrats uns gegenüber zur Information verpflichtet sind.
Welche Aufgaben stehen derzeit besonders an?
Ein wichtiger Punkt ist für uns die Arbeitsmarktsituation in Berlin. Wir stehen hier auch in Verbindung mit dem Leiter der Berliner Arbeitsämter, Herrn Wollschläger, und hatten, um verläßliche Daten zu erhalten, einen Kriterienkatalog entwickelt. Die Arbeitsämter der Hauptstadt benutzen jedoch für die Bewerbung um Arbeitslosenunterstützung die Vordrucke aus West-Berlin und darin werden die von uns gewünschten Fakten nicht erfragt. Gegen diese Erfassung spricht auch der Datenschutz. Deshalb wollen wir uns an die Bezirksstelle für Statistik sowie an die Ministerin für Arbeit und Soziales, Frau Hildebrandt, wenden, um hier eine Ausnahmegenehmigung zu erwirken. Diese daten sind für uns einfach Arbeitsgrundlage, besonders in Hinblick auf Umschulungsprogramme.
Wie ist zur Zeit die Arbeitsmarktsituation für Frauen in Berlin?
Ende März waren 44 Prozent aller, die einen Antrag auf Arbeitslosenunterstützung gestellt hatten, Frauen. Dabei wird die Zahl der arbeitslosen Frauen weiter zunehmen. Ihr bisheriger Anteil ist darauf zurückzuführen, daß viele Arbeitslose aus den Ministerien kommen, wie zum Beispiel aus dem Ministerium für Staatssicherheit und aus anderen Ministerien. Dies waren überwiegend Männerdomänen. Die Freisetzungen aus den Betrieben beginnen jedoch jetzt erst und werden weiter anhalten.
Wie kann der Bereich Gleichstellungsfragen konkret auf die Verringerung von Frauenarbeitslosigkeit hinarbeiten?
Wir wollen zunächst in den kommunalen Verwaltungen anfangen und hier einen Vertrag anstreben, der die Quotierung von Frau und Mann beinhaltet. Damit soll eine paritätische Zusammensetzung in allen Arbeitsbereichen schrittweise erreicht werden. In der Industrie ist dies natürlich viel schwerer zu regeln, denn es ist nicht in jedem Fall, sondern nur unter Beachtung von Arbeitsaufgaben und Arbeitsbedingungen, anzustreben, daß bestimmte Arbeiten auch von Frauen ausgeführt werden.
Was geschieht nach den Kommunalwahlen am 6. Mai?
Was mich persönlich anbelangt, so hoffe ich, daß ich in die Stadtverordnetenversammlung gewählt werde, um auch weiter die Möglichkeit zu haben, als Stadträtin im Interesse von Frauen dieser Stadt arbeiten zu können. Ich kandidiere auf der Alternativen Linken Liste (ALL). Meine Mitarbeiterinnen sind jedoch schon fest eingestellt. Sie könnten also nach dem 6. Mai durch einen neuen Magistrat nicht so einfach entlassen werden. Wir versuchen, bis zum 6. Mai so viel an Beschlußvorlagen im Magistrat durchzubringen, wie es nur geht. Damit sollen einige wesentliche Dinge schon installiert werden, die dann nicht einfach wieder rückgängig gemacht werden könnten. Bei den Vorschlägen für die Struktur des Magistrats nach den Kommunalwahlen ist zum Beispiel vorgesehen, daß unser Bereich als ein eigenstäniger Bereich weiter bestehen bleibt.
An welchen konkreten Beschlußvorlagen habt ihr bislang gearbeitet?
Zunächst an einer Vorlage, die dafür steht, das auch im amtlichen Sprachgebrauch die deutliche Nennung von weiblichen und männlichen Personen erfolgen soll. Für manche sicher eine Nebensache, aber das Sprechen beeinflußt ja das Denken, wenn auch oft nur untergründig. Zum zweiten bringen wir eine Beschlußvorlage über die Finanzierung von Planstellen in zwei Frauenzentren ein.
Wie sind Sie zur Frauenproblematik gekommen?
Ich habe Anfang der 80er Jahre hier in Berlin in verschiedenen Frauengruppen mitgearbeitet. Dies waren sehr unterschiedliche Gruppen, sowohl im Herangehen an die verschiedenen Themenbereiche, als auch in ihrer Arbeitsweise. Die bekannteste von ihnen ist wohl die Gruppe „Frauen für den Frieden“. Was mich bewegt, diese Arbeit zu machen, hat zwei Gründe: Zum einen sind Frauen wirklich benachteiligt in diesem Land. Sie sind es nicht, weil sie persönlich, im privaten Bereich von ihren Männern unterdrückt werden. Sondern dies ist ein strukturelles Problem. Frauen stehen in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens in der DDR schlechter da als Männer, haben weniger Einflußmöglichkeiten. Ich möchte gern dazu beitragen, daß sich das ändert. Zum zweiten halte ich es wirklich für sehr, sehr wichtig, daß Frauen entsprechend ihres zahlenmäßigen Anteils in der Gesellschaft auch Anteil an allen Entscheidungen nehmen können. Ich denke, uns geht als ganze Gesellschaft unheimlich etwas verloren, wenn Frauen sich nicht äußern, nicht mitbestimmen. Das Gespräch führte
Marinka Krözendörfe
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