1. Mai vor 100 Jahren: Unsrer Zukunft eine Gasse!

■ Verhaltene Premiere in Bremen / Morgendliche Versammlung fast eine Kampfansage / Abendlicher Ball für die Nicht-so-Mutigen

„Heute, am Ersten des wonnigen Mai, wo alle Herzen hoffnungsvoll nach langer Wintersnacht dem lieblichen Frühling, der neuen Zeit entgegen jubeln, heute reichen sich Millionen Arbeiter (...) im Geiste brüderlich die Hände, heut durchzuckt ein Gedanke die hoffnungsfrohen, kampfesmutigen Herzen aller Arbeiter, heut erschallt, dem Donner gleich, von nah und fern, vom hohen Norden bis zum sonnigen Süden, weit übers Weltmeer hinaus, die Losung: Acht Stunden Arbeit.“ Im Unterschied zu der Prophezeiung der sozialdemokratischen „Bremer Bürger-Zeitung“, die am Tag der Maifeier erstmals erschien, fand in Bremen eine eher verhaltene Premiere des Festes statt, das weltweit zum Symbol der internationalen Solidarität und der zentralen Ziele der Arbeiterbewegung werden sollte. Der Meinungsstreit um die Frage, ob am 1. Mai die Arbeit in den Werkstätten und Fabriken ruhen sollte, war in der bremischen Arbeiterschaft nicht einvernehmlich ausgegangen. Zwei Maifeiern waren die Folge. Die eine beschränkte sich auf eine abendliche Veranstaltung, die andere begann bereits in den Morgenstunden und endete abends mit

einem Ball und der Aufführung eines Theaterstückes. Da der 1.Mai 1890 auf einen gewöhnlichen Arbeitstag, einen Donnerstag, fiel, und da die bremischen Handwerksmeister wenig Bereitschaft zeigten, ihren Gesellen einen freien Tag für ein Arbei

terfest zu schenken, kam die morgendliche Versammlung einer Kampfansage gleich, die letztlich nur von einer Minderheit der Arbeiterschaft Bremens unterstützt wurde.

Begonnen hatte die Auseinandersetzung in dieser Sache im Januar

mit einer Versammlung der Bremer Tischlergewerkschaft. Es kamen 600 Menschen, neben den Tischlern Vertreter nahezu aller bremischen Gewerke. Am Ende der Versammlung verabschiedeten die Anwesenden eine Resolution, die für den 1. Mai Einiges er

warten ließ: „Die am 7. Januar im großen Saale des Casino anwesende (...) Versammlung der Bremer Tischler erkennt die Beschlüsse des internationalen Congresses in Paris an und beschließt, den 1. Mai d.J. als internationalen Arbeiterruhetag zu feiern und

giebt sich der Hoffnung hin, daß die übrigen Gewerkschaften diesem Beispiele folgen werden.„(...)

Obwohl die Stimmung in der Bremer Arbeiterschaft deutlich gegen die Arbeitsruhe am 1. Mai umgeschlagen war und mittlerweile auch die sozialdemokratische Reichstagsfraktion in einem Aufruf zur Vorsicht mahnte, hielten die Bremer Tischler an ihrem einmal gefaßten Beschluß fest. Bremische „Industrielle und Gewerbetreibende“ verbreiten nunmehr in Zeitungen, daß sie „die Erklärung des 1. Mai zu einem Arbeiterfesttage für eine durch nichts zu rechtfertigende und die wirtschaftlichen Interessen aller Kreise schädigende frivole Kundgebung“ hielten. (...)

In Übereinstimmung mit den Beschlüssen der sozialdemokratischen Parteitage hielt es die Bremer Parteiführung auch in den folgenden Jahren für klüger, Konflikte mit den Unternehmern und der Staatsmacht am 1. Mai zu vermeiden. Das Festkomitee verlegte die Maikundgebung in der Regel auf den unproblematischen Abend des 1. Mai und die Festveranstaltungen auf den ersten Sonntag des Frühlingsmontags.

Klaus Dyck / Jens Joost-Krüger