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Kolli contra Camel

■ Alternatives Volksfest im Prenzlauer Berg / Kreuzberger Büro für ungewöhnliche Maßnahmen“ lud zum Treff unter der Losung „Alles Gute wächst von unten“ / Ost- und West-Basisgruppen präsentierten sich Tausenden Berlinern / Holzsarg als Objekt von DDR-Trauerarbeit

Ost-Berlin. Seit gestern ist Prenzlauer Bergs Kollwitzplatz ein „Futurologischer Selbstverwaltungsjahrmarkt“. Während „Unter den Linden“ Camel und Ostberliner Kulturdirektion ein D-Mark-lastiges Frühlingsfest inszenierten und die Hauptstädter mit den zivilisatorischen Errungenschaften der westlichen Welt ausstatteten, versammelte sich auf und um den Kollwitzplatz die Szene aus Ost und West zu einem Frühlingsfest der besonderen Art. Ging auf dem Ostberliner Nobelboulevard der Döner für 15 Mark der DDR vom Spieß in die Hände der Hungrigen, zog über die Wiesen des Kollwitzplatzes der Knoblauchduft zu milderen Preisen. Mit bunten Angeboten bemühte man sich, im Zentrum der neu -alternativen DDR-Bewegung dem deutsch-deutschen kommerziellen Spektakel zu trotzen. Kreuzberg und der Prenzlauer Berg als Alternative zur Vereinigung a la Kohl. Obwohl der Countdown zur Kommunalwahl läuft, geriet das Fest auf dem Kollwitzplatz doch nicht in den Bannkreis buhlender Parteien. Die Besucherzahl überstieg die Erwartung der Veranstalter.

Das Kreuzberger „Büro für ungewöhnliche Maßnahmen“ hatte die Idee, und alternative Gruppen und Initiativen aus beiden Teilen der Stadt nutzten die Möglichkeit, sich und ihre Anliegen zu präsentieren. Vom Bürgerkomitee Normannenstraße, das echte Arbeitsbücher der Stasi zum Verkauf für karitative Zwecke anbot, bis zum Korbflechter und Töpfer, von Kernkraftgegnern bis zu den Bio-Ernährern. Neben dem Kollwitz-Denkmal hatten die Veranstalter einen Holzsarg deponiert, der als Symbol der gescheiterten Hoffnungen des Herbstes und der sterbenden DDR von den Besuchern mit gelben Tulpen geschmückt wurde und auch noch in den kommenden zwei Markttagen Zentrum individueller Trauerarbeit sein soll. Der Sarg, in dem auch die in der neugewählten Volkskammer gescheiterte neue DDR-Verfassung ihre letzte Ruhestätte fand, soll nach Abschluß des Festes nach Bonn überführt werden. Um ihn herum Buden, Bühnen und Aufforderungen wie „Achtung, passen Sie auf, daß Sie nicht aus dem sozialen Netz rutschen“ oder „Im Kern keinen Stern - Berlin Mitte den BerlinerInnen und nicht für Bonzen, Bosse und Benz!“.

Diskussionsrunden über neue Armut, Arbeitslosigkeit, betriebliche Selbstverwaltung und sogenannte „Medien von unten“ hatten regen Zulauf. Die taz präsentierte sich ihren Lesern mit einem eigenen Stand. Im besetzten Haus in der Schönhauser Allee 20 gab es Gesprächsangebote von Hausbesetzern zu ihren Problemen und Vorstellungen vom alternativen Wohnen. Die „Bolschewistische Kurkapelle Rot -Weiß“ stellte die neue Version von „Good bye Honni“ vor und versuchte, dabei beide deutsche Nationalhymnen miteinander zu verquicken. Den Gaumen verwöhnten exotische Speisen, wie sie wohl auf dem Kollwitzplatz noch nie zu haben waren, so „Macumba“ - eine vegetarische Reispfanne - oder „China -Salat, mit Tofu in Pide“. Das mehrtägige Fest wird in der Walpurgisnacht mit einem Hexenspektakel enden.

adn/am

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