Geschichte der Nation

■ Was ist des Deutschen Vaterland? ARD, 1. Mai, 14.55 Uhr

Deutsch und deutsch gesellt sich gern. Wenn es manchmal auch noch nicht so recht klappt, und dem Fernsehautor Erhard Klöss Menschen vor die Kamera laufen, die störrisch darauf beharren, mit dem deutschen Vaterland noch immer die DDR oder die BRD assoziieren zu dürfen. Die Umfrage zeigt vor allem, wie ausgiebig und anhaltend sich die Vereinigungsgewillten noch auf die Zunge beißen werden, bis die Aussprache des einen Vaterlandes lupenrein ist. Für Erhard Klöss und Maria Parnell ist das Gestammel über des Deutschen Wesen Anlaß genug, um genüßlich über die Geschichte der deutschen Nation herzufallen. Allen Politikern zum Trotz, die plötzlich nach einem Nationalbewußtsein kramen, das Wählerstimmen bringen soll, behaupten die Autoren, die Heranbildung einer deutschen Nation sei auch in der Vergangenheit mehr ein Possenspiel als eine ernstzunehmende Identitätssuche der Deutschen gewesen.

Beispiele, die in dem Film mit Akribie zusdammengetragen sind, belegen zunächst den ausgeprägten Untertanengeist der Deutschen, aber keinen einheitlichen Willen zum Nationalstaat: Auch nach dem Mittelalter ließ sich das Volk von Kaiser, Adel und Klerus kujonieren. Die deutsche Intelligenz nahm an den Umwältzungen der Epoche zwar begeistert, aber eben nur in Gedanken, teil. Und letztendlich haben wir es Napoleon zu verdanken, daß sich in den verschlafenen Kleinstaaten jenseits des Rheins so etwas wie Nationalbewußtsein zu regen begann. Mit Ironie häufen Klöss und Parnell die aparten Häppchen mißlungener Identitätsfindung zu einem Bilderbogen, der auf die Frage „Was ist des Deutschen Vaterland?“ eigentlich nur die Antwort „Nichts!“ zuläßt.

Oder wollen sich die Dreggers und Kohls auf der Suche nach einem neuen deutschen Nationalismus gar bei der preußisch -militaristischen Variante Bismarcks oder etwa bei der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft bedienen? Gerade bei dieser Frage bleibt der Film zu harmlos, belustigt sich nur über die fehlende Perspektive und denkt nicht darüber nach, daß ein irrationaler Nationalismus schon einmal als ideologischer Kitt diente, um Deutschland mit der Struktur des kaiserlichen Obrigkeitsstaates an die Spitze der europäischen Industrienationen zu bringen. Einfache historische Analogien sind sicher angebracht, aber das Antippen dieser Problematik hätte den Film noch treffender gemacht.

Christof Boy