: Die ganze EG liebt Helmut Kohl
EG-Gipfel verläuft harmonisch / Europäer sollen in der DDR investieren / Politische Union bis Ende 1992 perfekt / Delors und Thatcher beschwören Adam und Eva / Kohl: Deutsche sind nicht „Fußkranke der letzten Völkerwanderung“ / Thatcher lobt deutsche „Treue“ und entschwebt den winkenden Journalisten per Hubschrauber ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck
Die EG-Gipfelkonferenz löste am Samstag die größte Sicherheitsoperation in der Geschichte Irlands aus. Das Dubliner Schloß war weiträumig abgesperrt. Die etwa tausend JournalistInnen wurden ein halbes Dutzend Mal kontrolliert und mit Metalldetektoren untersucht, bevor sie in das hochmoderne, speziell für die irische EG-Präsidentschaft gebaute Pressezentrum durften. Eine Sicherheitsbeamtin sagte zur taz: „Wir haben immer einige Probleme, wenn Frau Thatcher in der Nähe ist - um es milde auszudrücken.“
Die Regierungschefs der zwölf Mitgliedsstaaten betonten am Samstag, daß die deutsche Einheit „einen positiven Faktor für ganz Europa“ darstelle. Sie versprachen, für eine reibungslose und harmonische Integration eines vereinten Deutschlands in die EG zu sorgen. Der spanische Ministerpräsident Felipe Gonzales sagte: „Die deutsche Einheit wird die europäische Einigung stärken. Diese Botschaft muß heute nach Europa gehen.“ Der französische Präsident Fran?ois Mitterrand dankte Kohl und den Deutschen für die bisherige Bewältigung der Probleme. Selbst die britische Premierministerin Margaret Thatcher stimmte in die Lobgesänge ein. Sie wies auf die „Treue und Loyalität der Deutschen“ zur EG hin. Bei soviel Lob wollte auch Bundeskanzler Helmut Kohl nicht zurückstehen. Durch Pressesprecher Hans Klein ließ er darauf hinweisen, wie hoch der Grad des Vertrauens bei allen Partnern in die Bundesrepublik und in seine Person sei. Klein sagte, Kohl habe ihm gegenüber die Vokabel „Superergebnis“ ge braucht.
Kohl verzichtete in Dublin auf die Idee einer Sonderhilfe für die DDR. Er sagte: „Die Sonderhilfe hätte symbolischen und ermutigenden Charakter, aber der Bundesrepublik ist klar, daß sie das leisten muß.“ Die DDR wird jedoch noch vor der Vereinigung an der Hilfe der 24 westlichen Industriestaaten für Mittel- und Osteuropa beteiligt. Darüber hinaus kann sie bei der Europäischen Investitionsbank, der Atomgemeinschaft und der Montanunion Kredite beantragen. Kohl forderte die anderen EG-Länder „eindringlich auf, in der DDR zu investieren“. Noch seien dort jedoch zuviele Menschen in den Betrieben beschäftigt. Zur Frage der Präsenz sowjetischer Truppen in der DDR sagte Kohl, daß man darüber „nach einer zeitlich begrenzten Übergangsperiode“ reden müsse. Die DDR solle nicht nur Mitglied der EG, sondern auch der Nato werden.
Initiativen zur politischen Union der EG wurden auf dem Dubliner Gipfel vorerst verschoben. Die Außenminister wurden beauftragt, bis zum regulären Gipfel im Juni eine Analyse auszuarbeiten und alle Vorschläge zusammenzutragen. Kohl hofft, daß dann die Einrichtung einer zweiten Regierungskonferenz zur politischen Union beschlossen wird. Diese Konferenz soll parallel zur im Dezember beginnenden Regierungskonferenz über die europäische Wirtschafts- und Währungsunion stattfinden. Beide Konferenzen sollen dann rechtzeitig Verträge ausarbeiten, damit sie bis Ende 1992 von den zwölf Parlamenten ratifiziert werden können. Kohl sagte: „Wir können doch nicht 1994 wieder vor die Wähler treten und ihnen sagen, sie sollen wählen, wenn das Europäische Parlament keine Kompetenzen hat. Jetzt ist doch die Stunde gekommen.“ Die Deutschen gehören laut Kohl nicht zu den „Fußkranken der letzten Völkerwanderung“, sondern sind bereit, Kompetenzen abzugeben.
Thatcher wies jedoch darauf hin, daß die Definition der politischen Union sehr schwammig sei. Die zwölf Regierungschefs hätten äußerst unterschiedliche Vorstellungen davon. Thatcher formulierte es negativ und zählte auf, was der Begriff ihrer Meinung nach nicht bedeute. Kommissionspräsident Jacques Delors sagte, daß bei dieser Herangehensweise Adam vermutlich niemals geschaffen worden wäre. Die vor Humor sprühende britische Premierministerin konterte: „Beim zweiten Versuch hat Gott es ja auch besser gemacht: Er schuf Eva.“ In ihrer Zurückhaltung gegenüber der politischen Union stand Thatcher nicht alleine da: Dänemark und Portugal teilten ihre Zweifel.
Thatcher wies darauf hin, daß die Einrichtung einer zweiten Regierungskonferenz zwar mit einfacher Mehrheit im Juni beschlossen werden könne, die Ergebnisse müssen jedoch einstimmig angenommen werden. Die nationale Souveränität werde sie niemals aufgeben - und andere Länder auch nicht, glaubt Thatcher. Der Dubliner Gipfel hat nicht zu einer weiteren Isolierung Thatchers in Europa geführt, wie britische Medien im Vorfeld der Konferenz spekuliert hatten.
Sie hatten gemunkelt, daß ein weiterer Mißerfolg in Dublin ihr innenpolitisch den Gnadenstoß versetzen würde. Davon kann vorerst keine Rede sein. Die irischen Sicherheitsbeamten hatten sich für die britische Premierministerin etwas Besonderes einfallen lassen: Nach ihrer Pressekonferenz sprang sie im Innenhof des Schlosses in einen Hubschrauber und entschwebte über die Köpfe der winkenden JournalistInnen.
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