piwik no script img

Fotokunst der Postmoderne

■ „Das konstruierte Bild“ im Forum Böttcherstraße / Augenschmaus und Baudrillard

Ein dünner Nackter wird von einem Schwan gevögelt; quietschbunte Spielzeugflugzeuge, Totenköpfchen und Taschenrechner präsentieren sich wie ein appetitlicher Haufen Haribo-Konfekts; zwanzig nackte blauviolette Säuglinge, aus jeder Perspektive betrachtet, schweben in einem düsteren Raum, durch den sich DNS-Moleküle ziehen, im Hintergrund schaut ein warm beleuchtetes Frankensteinmonster dem Treiben zu, trotz realistischer Mimik/Gestik wirken die Kinder versteinert oder vergreist. Effekt mit Bart

Die Rede ist von Fotos. Der Effekt hat einen Bart so alt wie die Geschichte der Fotografie und funktioniert immer noch: das gestellte, geschickt inszenierte Foto, mit dem Bonus der Glaubwürdigkeit und Objektivität des Lichtbildes versehen, spielt erfolgreich mit der Irritation der BetrachterIn.

Zdenek Felix (Kunstverein München), Lucius Griesbach (Kunsthalle Nürnberg), Andreas Vowinkel (Badischer Kunstverein) und unserem (noch) Wolfgang Stemmer vom Forum Böttcherstraße verdankt sich das Zustandekommen der Ausstellung „Das konstruierte Bild“, die letzte Woche in der Böttcherstraße eröffnet wurde.

Mit zahlreichen, überwiegend amerikanischen Leihgaben gelang den Machern die heitere oder erschreckende oder zynische oder groteske Vorstellung einer Kunstrichtung, deren Rolle als „eines der wesentlichsten Ausdrucksmittel in der Fotografie der postmodernen 80er Jahre“ verifiziert werden soll. Zumindest ein Augenschmaus wird da geboten plus Teilnahme am inszenatorischen Vergnügen, das die Fotokünstler Innen fraglos hatten. Denn nur am Rande geht es hier um Fotografie: diese ist lediglich letztes technisches Hilfsmittel.

Davor liegt akribische Regiearbeit, im Kopf eine zweidimensionale Vorstellung, im Raum, wie bei Bernard Faucon, eine lebensgroße Puppenstube mit echten und unechten Schlafanzugknaben, die alles tun, was verboten ist und wahre Männer auszeichnet. Wenn der Filmemacher David Haxton eigene Rauminstallationen fotografiert, etwa seine zerfetzten Raumteiler im Studio, stellt sich erst recht die Frage nach „Fotokunst“, muß man doch zunächst dokumentarisches Interesse wie bei den Aktionskünstlern vermuten. Tatsächlich ist es bei den meisten Arbeiten so, daß der künstlerische Prozeß das Arrangement ist, der Rest ist Ab

knipsen, das oft irgendwelchen Freunden überlassen wird. Am Negativ oder dem Abzug wird nicht mehr manipuliert. Das mag man bei den Bildern des Schotten Calum Colvin kaum glauben; seine Pop-Gött Innen sind auf eine Wand gemalt, Teile des Körpers erstrecken sich auf ein Sofa, schieben sich über einen Hemdsärmel, die Fußspitze hat ihren Platz auf einer zerkautschten Cola-Dose. Es gibt nur eine einzige Perspektive, aus der dieses Arrangement stimmt: die der Kamera.

Es gibt einige Anlässe, Bilder zu „konstruieren“. Dazu gehören sinnige Selbstinszenierungen ebenso wie Bildgeschichten, Fo

to-Stilleben wie besagte Dokumentationen. Kunsttheorie der 80er

Daß hinter dem formalen Zusammenhang ein inhaltlicher, eine ganze Kunsttheorie der 80er Jahre stehe, das zu beweisen gibt sich der schöne und mit Künstlerbiografien versehene Katalog allerlei Mühe.

Neben einem überaus verzichtbaren Beitrag von Andreas Vowinkel, der zeigt, wie man mit Versatzstücken eines muffigen poststrukturalistischen Diskurses lebendigen Bildern nicht beikommt, müht sich Michael Köhler mit einer kleinen Geschichte der Fotokunst (die im „konstruierten Bild“ kulminiert), ohne die Notwendigkeit eines neuen Genres darlegen zu können. Der Ausstellung hätte es überhaupt nicht geschadet, wenn „Das konstruierte Bild“ Arbeitsbegriff geblieben wäre. Gegen die subversive und häufig wunderbar geschmacklose Heiterkeit der Bilder hat Logorrhöe auch mit Baudrillard keine Chance. Burkhard Straßman

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen