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Kurz ist nicht kurzweilig

■ Zu den diesjährigen Westdeutschen Kurzfilmtagen in Oberhausen

Die dreiste Annahme, der kurze Kulturfilm sei so wichtig für das Kinopublikum und als Dokumentarfilm allemal lehrreich, ist vielleicht einfach falsch. Ein Dünkel. Man stelle sich vor, man geht ins Kino und sieht zuerst dreißig Minuten lang, die meiste Zeit im Zeitraffer, wie in New York ein Hochhaus gebaut wird (Going up, USA, Gary Pollard). Was soll dann im Hauptprogramm folgen? Ein Erdbebenfilm? Eddy Murphy? Oder man sieht 25 Minuten lang, wie es in einer Nudelfabrik in der UdSSR aussieht und wie die Leute sich da fühlen (Graf i Grafini, UdSSR, N. Jachina). Oder wie eine üble Horde Männer sich an einer Bierbude zusäuft (Kreda rysowane, Polen, Leslaw Wilk, 22 Minuten, schwarz/weiß). Oder das Innere von Cafes an Landstraßen in den USA. Theken. Wanduhren. Gesichter. Lkws donnern vorbeit (You can drive the big rigs, USA, Leighton Pierce, 15 Minuten). Das läßt sich mit Beispielen aus dem diesjährigen Programm in Oberhausen beliebig fortsetzen. Wer da sagt, das sei in jedem Fall besser als die Reklame vor den Filmen, der war wahrscheinlich lange nicht mehr im Kino.

Was soll also die Rede von der Chancenlosigkeit der Kurzfilme. Die meisten Kurzfilme zielen nicht auf das Kinopublikum. Einige zielen überhaupt nicht auf Publikum. Oberhausen, das ist eine völlig synthetische Insel. Alles ist künstlich, die Filme sind Fingerübungen - wie etwa dieser Tiefenschärfeübungsfilm, mit dem peinlicherweise Jerzy Bossak gedacht werden sollte (Wegbereiter, Polen, Rainer Schaupp, Arthur Reinhardt - im Auftrag der Kurzfilmtage).Und Filme, die nicht auf ein Publikum zielen, sind eben keine Filme. Ebensowenig ist in Oberhausen das Publikum das Publikum. Diese Leute „vom Fach“ finden einfach alles interessant. Nichts kann sie langweilen. Nichts sie aufregen. Das ist Oberhausen. Die neue Leiterin Angela Haardt hat daran nichts geändert.

Sehr wahrscheinlich ist, daß der dokumentarische Kurzfilm wie lang oder langweilig auch immer - seinen Ort in Leipzig bekommen wird. Was also wird für Oberhausen bleiben? Bleiben wird eine vertane Chance, über die Situation nachzudenken, Konzepte zu erarbeiten, Konzepte auszuprobieren. Und diese vertane Chance bringt Oberhausen einen großen Schritt in eine kurzfilmlose Provinz.

Die Oberhausener selbst waren schlau genug, sich nicht an den Kurzfilmtagen zu beteiligen. Daß es in der Luise-Albertz -Halle trotzdem nicht leer ist, liegt an den fast 500 geladenen Gästen. Am imaginären Publikum. Ein Fachpublikum. Das Ganze eine Veranstaltung für eine Elite. Ein Teil der Gäste bekommt Anreise und Unterkunft bezahlt. Ein sehr besonderes Fachpublikum - denn im Gegensatz zu jeder Messe geht es ja in Oberhausen nicht um den Verkauf der ausgestellten Ware. Bestenfalls geht es um Sichtung, Interpretation und Diskussion. Bestenfalls.

Im letzten Jahr konnte sich der Kurzfilm der Brüder Lauenstein nicht qualifizieren (Balance, BRD, Wolfgang und Christoph Lauenstein). In diesem Jahr erhielt er einen Oskar. Jetzt war er auch in Oberhausen zu sehen. Und der Film ist eine kleine Meisterleistung. Das Problem ist nicht, daß so etwas passiert isd. Obwohl es immerhin ein deutlicher Beweis dafür ist, daß es in Oberhausen eben keine Kriterien gibt, und es gibt keine, weil niemand daran arbeitet. Ansonsten hätte diese Prämierung in den USA noch geradezu nach einer Veranstaltung über Auswahl und Bewertung von Kurzfilmen geschrien. Er lief kommentarlos im Vorprogramm. Das Problem ist, daß man, wenn man Oberhausen in den letzten Jahren verfolgt hat, genau das auch erwartet hat. Dieses Festival wird bloß verwaltet. Da wird nicht diskutiert. Nicht interpretiert.

Stattdessen sieht man darauf, was denn gerade politisch „in“ ist. Und das war, wie bei fast allen Festivals der letzten beiden Jahre, die Präsentation von Filmen aus dem Osten. Rumänien, Sowjetunion, Bulgarien, verbotene Filme aus der DDR - das kann man sich ansehen in diesem Jahr in Oberhausen. Nur - das ist eben kein filmisches Kriterium. Das reicht vielleicht für eine Informationsschiene im Programm, kann aber das Programm nicht ersetzen.

Wie lange wollen wir uns noch daran erfreuen, daß woanders soziale Bewegung herrscht? Wann hört dieser gönnerhafte Voyeurismus auf, und wann bekommen wir wieder Filme zu sehen? Kurzfilme, wirklich kurze, die spannend sind?

Horst Walther

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