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Neuer Wind oder letzte Zuckungen

Spaniens Kommunisten öffnen sich / Der Parteikongreß beschließt die Zulassung interner Strömungen / Eine Parteiauflösung ist - noch - nicht geplant Stalinismusbewältigung ist kein Tabuthema mehr / Die Parteiführung strebt eine „europäische Linke“ an / Bald schon lokale Koalitionen zwischen PCE und Sozialisten?  ■  Aus Madrid Antje Bauer

„Die Einheit der Partei ist heilig, Genossen. Innerhalb der Partei, da darf es Diskussionen geben - nach außen hin jedoch, da gilt die freiwillig gewählte Disziplin.“ Doch so laut und trotzig der Redner sein Credo auch in den Saal schleudert - es klingt wie eine Stimme aus der Gruft. Die Genossen im Plenum zucken nicht einmal mit der Wimper - die Abstimmung auf dem kleinen Parteitag der Spanischen KP (PCE) zeigte schon kurz danach, daß die Partei, ungerührt von solchen Appellen, künftig parteiinterne Strömungen haben wird und damit eines der heiligsten Tabus der Partei bricht: den alten Autoritarismus, Anlaß einst für unzählige Parteiausschlüsse wegen Unbotmäßigkeit.

Eigentlich hatte dieser „kleine Parteitag“ organisatorischen Problemen dienen sollen: Statutenänderungen zur Förderung der Effizienz sind dringend nötig, seit die Partei vor gut einem Jahr die Konzentration auf das Linksbündnis mit der Izquierda Unida (IU) und den kleinen Parteien PASOC (Sozialistische Aktionspartei) und der IR (Republikanische Linke) sowie einigen Unabhängigen beschlossen hat. Doch der Zusammenbruch des Realsozialismus und die flinke Wende der italienischen KP ließen den organisatorischen zum programmatischen Parteikongreß werden. Die Übertragung einer Reihe bisher der PCE-Führung vorbehaltenen Entscheidungskompetenzen auf die Izquierda Unida, ursprünglich ein rein organisatorisches Problem, weckt nun angesichts der italienischen Tendenz zur Selbstauflösung des PCI mächtig Ängste: „Der PCE“, beeilte sich die Parteileitung daher zu versichern, „wird nicht aufgelöst.“ Mit dem leisen Nachsatz: „Zumindest jetzt nicht.“

Doch die Sorgen um die Identität der Partei verschwinden dadurch nicht - auch wenn sich das, der alten Gewohnheit in einer autoritären Partei wegen, noch überwiegend vorsichtig ausdrückt. Etwa so: „Der PCE hat in seiner Geschichte Fehler begangen“, räumt eine parteiinterne Broschüre ein, „manche aus eigener Initiative, andere hingegen, weil er sich in bestimmten Perioden anders ausrichtete und es ihm an eigenständiger Analyse mangelte.“ Was damit gemeint sein könnte, konnten Passanten vor dem Parteitagsgebäude an den provokativ aufgestellten Bücherständen der Trotzkisten studieren - etwa die Verfolgung dieser Gruppe durch spanische Stalinisten.

Die von der Parteiführung unter Julio Angiuta angestrebte innerparteiliche Demokratie und die Ausrichtung auf eine (allerdings nicht näher bestimmte) „Europäische Linke“ muß gegen Kommunisten alten Stils durchgesetzt werden: „Ich trage noch immer ein Bild von Fidel in der Tasche“, bekannte trotzig einer der Arbeiter auf dem Kongreß. Immerhin können die Reformer mittlerweile auf den Gewinn von gut einer Millionen zusätzlicher Stimmen bei den letzten Wahlen im Oktober 1989 verweisen, wodurch die IU zur drittstärksten Partei aufstieg. Doch auch wenn dieser Erfolg unbestreitbar ist - immer wieder werden Stimmen laut, die vor dem „Occhetto-Virus“ (nach dem italienischen PCI-Vorsitzenden) warnen: „Generationen der Linken sind konzeptuell und ideologisch mit der Überlegung herangewachsen, wie der Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus bewerkstelligt werden könnte“, schreibt der IU-Europaabgeordnete Fernando Perez Royo, Führungsmitglied der Izquierda Unida, in seinem Artikel Weg vom Mystizismus, „und sie kamen nicht auf die Idee, daß sich das Problem vielleicht genau umgekehrt stellen könnte.“ Wichtig sei es daher vor allem zu erkennen, „daß wir nicht vor dem Ende des kalten Krieges stehen, sondern vor der Überwindung der Vorstellung von der Auseinandersetzung oder der Rivalität zweier Systeme“. Perez Royo zieht daraus den Schluß, daß es nun ein Ende haben muß mit dem Konfrontationskurs zu den regierenden Sozialisten, Kernstück kommunistischer Politik der vergangenen Jahre. Die Stimmenverluste der Sozialistischen Partei PSOE, so Perez Roya, könnten tatsächlich schon bald zumindest auf regionaler Ebene zu Koalitionen zwischen der IU und den Sozialisten führen.

Mit solchen Vorstellungen tut sich Julio Anguita, der Generalsekretär der IU, freilich derzeit noch schwer. „Zusammenarbeit ja, aber nur aufgrund von gemeinsamen Programmen“, fordert er: zumal auch die sozialistische Führungsriege nicht gerade begierig auf eine enge Umarmung ist. Schließlich springen ihre Wähler zur IU ab, und so bemühen sie sich in der Praxis, lieber mit den kleinen nationalistischen Parteien um Absprachen, um so die IU fernzuhalten. Doch insgesamt haben die Sozialisten Anfang 1990 einen Linksschwenk vollzogen, und ihre Gewerkschaft UGT ist schon vor zwei Jahren eine Aktionseinheit mit den kommunistischen Comisiones Obreras eingegangen. Zwar hat sich die UGT jüngst offiziell von ihrer „Mutterpartei“ PSOE getrennt, doch die Sozialisten müssen sich ihrerseits zwangsweise an der linken Arbeiterschaft orientieren, wollen sie wieder Terrain gewinnen. Trennlinie - noch - zur totalen „Occhettisierung“ in der Linken Spaniens ist auch die Debatte um den Beitritt zur Sozialistischen Internationalen

-während der PASOC zumindest Beobachterstatus in der SI möchte, macht der PCE einstweilen noch lange Zähne: „Wir wollen nur mit einer reformierten Internationalen zusammenarbeiten“, so Parteisprecher Carlos Carnereo. Doch die Zeit von Maximalforderungen und unverbrüchlicher Konfrontation ist wohl vorbei. Auch wenn hier und da bei regionalen Wahlvorbereitung alte Streitlust wieder aufflammt.

Santiago Carillo, enfant terrible der spanischen Kommunisten und ehemaliger PCE-Generalsekretär (der mit seiner Abspaltergruppe bei den letzten Wahlen allerdings nicht einen Sitz gewann), hat die gesamte Linke denn auch schon mit einer Prognose geschockt: „Die Zukunft wird eine Annäherung zwischen Sozialisten und Kommunisten erzwingen. Und vielleicht gibt es am Ende sogar nur noch eine einzige politische Linksgruppierung.“

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