Der „Rest der Welt“ will nicht verdrängt werden

■ Die UNO-Konferenz zur Weltwirtschaft war von harten Kontroversen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern geprägt / Die Vertreter der Dritten Welt fürchten, durch die Reformprozesse in den Ostblockstaaten weiter an den Rand gedrängt zu werden / Die Gruppe 77 forderte eine „Friedensdividende“

New York (dpa/afp/taz) - Nach sehr kontroversen Debatten zwischen Vertretern der Industrie- und der Entwicklungsländer ging am Dienstag in New York die Sondertagung der UNO zur Weltwirtschaft zuende. Auf der einwöchigen Tagung der UNO-Vollversammlung sollten Mittel und Wege gefunden werden, den immer tiefer werdenden Graben zwischen den Industriestaaten und den mehr als 120 Entwicklungsländern zu überwinden.

Streitpunkte waren vor allem die Forderung der Entwicklungsländer nach Zugeständnissen in der Schuldenfrage sowie nach „neuen Mechanismen“, die die Rohstoffmärkte stabilisieren sollten. Ein von der Gruppe 77 (die für 124 Entwicklungsländer spricht) vorgelegter Entwurf für eine Abschlußerklärung erinnerte auch an das vor 20 Jahren formulierte, aber nie erreichte Ziel, 0,7 Prozent des Sozialprodukts der Industrieländer für Entwicklungshilfe zur Verfügung zu stellen. In Form einer „Friedensdividende“ - so ein Vorschlag der Gruppe 77 - sollten die durch Abrüstung freiwerdenden Mittel in einen Sonderfonds für Entwicklung eingebracht werden.

Die Abschlußerklärung, die von der UNO-Vollversammlung schließlich am Dienstag mit dreitägiger Verspätung verabschiedet wurde, ist sehr allgemein gehalten und von unverbindlichen Kompromißerklärungen geprägt. Vor allem die USA sperrten sich gegen Zugeständnisse in der Schuldenfrage, die unter anderem auf einen Erlaß der Schulden für die ärmsten Staaten hinausgelaufen wären. Eine „dauerhafte und weitreichende Lösung“ der Schuldenfrage solle angestrebt werden, heißt es nun unverbindlich. 0,15 Prozent ihres Bruttosozialprodukts wollen die Industrieländer zukünftig für Entwicklungshilfe ausgeben. Wie üblich wurden die Entwicklungsländer aufgefordert, sich der Weltwirtschaft anzupassen.

„Die wichtigste Herausforderung der 90er Jahre besteht darin, das Wirtschaftswachstum und die soziale Entwicklung in den Entwicklungsländern anzukurbeln“, heißt es in der 38 -Punkte-Erklärung. Als Mittel zur Förderung des Wirtschaftswachstums wurden auch die Verteidigung der Menschenrechte und der demokratischen Werte, der Schutz der Umwelt und der Kampf gegen den Protektionismus hervorgehoben. Beim Umweltschutz hätten die Industrieländer als Hauptverursacher der Schäden zwar die Hauptverantwortung, aber auch andere Staaten seien gefordert. Alle Staaten, „vor allem die Entwicklungsländer“, sollten versuchen, ihre Militärausgaben zu verringern und das gesparte Geld in die soziale und wirtschaftliche Entwicklung zu stecken. „Ein besseres Funktionieren der Rohstoffmärkte und stabilere und kalkulierbare Bedingungen“ sollen angestrebt werden. Wie dies erreicht werden soll, bleibt jedoch im dunkeln. Auch die von der Gruppe 77 geforderte „Friedensdividende“ findet keine Erwähnung.

Dennoch wurde der mühsam erzielte Kompromiß von mehreren Delegierten als Durchbruch gepriesen. Auch der US-Delegierte Edward Marks, dessen Regierung lange gezögert hatte, überhaupt an der Konferenz teilzunehmen, lobte die Erklärung als „stark und bedeutungsvoll“. Bei den Reden in der vergangenen Woche sei immer wieder die Bedeutung hervorgehoben worden, die starke nationale Maßnahmen und eine Förderung des privaten Sektors für die wirtschaftliche Entwicklung hätten. Schon während der Debatte hatten Diplomaten darauf hingewiesen, daß etliche Staaten der Dritten Welt, die früher sozialistischen Wirtschaftskonzepten gefolgt waren, diesmal einen eher konzilianten Ton anschlugen.

„Der kalte Krieg ist unblutig ausgegangen. Jetzt beginnt der heiße Krieg zwischen Nord und Süd.“ Mit diesen Worten beschrieb ein Vertreter der Dritten Welt die Ängste, im Zuge der Konzentration des Westens auf die Reformprozesse in Osteuropa könnte der Süden noch weiter an den Rand der Weltwirtschaft gedrängt werden. Nach den gescheiterten Versuchen der 70er und 80er Jahre, die Situation der Entwicklungsländer durch stärkere politische Regulierung der Weltmärkte zu verbessern, stehen heute vor allem die hoch verschuldeten Länder vor einer Reihe sich verschärfender Probleme: steigende Zinsen und schrumpfende Investitionen bzw. Kapitalzuflüsse verstärken den finanziellen Druck. Vertreter der EG und der USA betonten demgegenüber die „Eigenverantwortung“ der Dritten Welt. Die Eingliederung der Länder Osteuropas in die Weltwirtschaft sei - so heißt es in der Abschlußerklärung lapidar - „im Interesse der Bewohner dieser Länder und des Rests der Welt“.

si