: DEM WECHSELKURS HINTERHERGERANNT
■ K L E I N E R G R E N Z V E R K E H R 1
Am Bahnhof Zoo steht dort, wo die U-Bahn-Treppe ans Tageslicht führt, ein Pulk von Männern, Geldbündel in der Hand. Hinter ihnen der Eingang zur offiziellen Wechselstube, die gelben Lettern an der Wand lassen wissen: D-Mark gegen DDR-Mark 1:3. Von den Schwarzhändlern, die nur gelegentlich von Polizisten behelligt werden und dann für kurze Zeit um die Ecke verschwinden, um gleich darauf mit ihren Geschäften erneut zu beginnen, halten die einen D-Mark, die anderen DDR -Mark hin. Es sind Männer aus dem Westen und dem Osten. Untereinander kaufen sie nicht. Einer hat ein Schild um den Bauch: professioneller Wechsler. Der Schwarzkurs der DDR -Mark ist bei ihm dieser Tage 3,2. Die Männer stehen in einer fast geschlossenen Reihe an den Vitrinen entlang die Joachimsthaler Straße bis zur Kantstraße hinauf. Der Kurs wird bald noch schlechter, kaufen Sie jetzt, sagt einer zu den Vorübergehenden und hält ihnen sein Notenbündel vor den Bauch. Was einer aus dem Westen mit den eingekauften Ost -Mark anfangen möchte, erzählt er natürlich nicht.
An der Ecke Kantstraße steht ein Rumäne, der seit ein paar Tagen - mit seiner ganzen Familie angereist - in einem Arbeiterwohnheim in Marzahn wohnt und dort für 15 DM pro Tag eine Woche bleiben kann. Er weiß nur, daß er weg wollte aus Rumänien und schon irgendwo Arbeit finden wird; seine Frau weiß nicht, wo sie sich befindet. In der Bank hat man ihr für ruämische Lei angeblich tschechische Kronen gegeben, sie wundert sich, daß sie damit nicht einkaufen kann. Nun steht der Rumäne an dieser Straßenecke und sieht abwesend vor sich hin.
Am Bahnhof Friedrichstraße, kurz bevor man ins Freie tritt, steht ein Pulk von Männern, Geldbündel in der Hand. Hinter ihnen die offizielle Wechselstube, D-Mark gegen DDR-Mark 1:3. Die Männer halten den Vorübergehenden DDR-Mark-Bündel hin. 3,1 bieten sie dem, der kauft. Zwei blauuniformierte Polizisten treten heran an die Gruppe, die Männer stecken ihre Geldscheine ein. Einige gehen weg, andere bleiben stehen und verschränken die Arme. Sie lachen. Einer schiebt einem anderen einen weiteren Geldschein zu. Der Polizist geht auf ihn zu. Der Mann steckt lässig den Geldschein in die Hosentasche. Irrsinnswelt, sagt er, wie soll das bloß weitergehn. Dann gehen sie alle weg.
Michaela Ott
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen