: Braune Väter, empörte Söhne
■ Nazi-Vergangenheit eines pfälzischen Landkreises / Sohn klagt wegen Verleumdung
Mainz (taz) - Manfred Großmann klingt nervös am Telefon: „Nein, das ist ein schwebendes Verfahren, ich sage Ihnen nichts!“ Schweigen. Er legt auf. Der Pfälzer Winzer aus Oberndorf klagt gegen das Buch Kerndeutsch von Reinhold Rehberger, in dem der Autor den Pfälzer Landkreis Rockenhausen während der Nazizeit unter die Lupe nimmt und die mutmaßlichen Täter beim Namen nennt. Der Pfälzer Winzer findet in dem Buch das Ansehen seiner Familie besudelt.
Sein Vater - der Tierarzt Dr. Karl Großmann - soll dem Buch zufolge bei Naziverbrechen mitgemischt und an der Zerstörung der jüdischen Synagoge in Winnweiler beteiligt gewesen sein. Großmann junior behauptet dagegen, alles sei erlogen. Er verlangt öffentlichen Widerruf, eine Unterlassungserklärung und den Rückruf der bereits gedruckten Bücher wie die Schwärzung der entsprechenden Passagen. Parallel zu einer Zivilklage stellte Großmann auch Strafanzeige gegen den Autor Rehberger. Doch die Staatsanwaltschaft Kaiserslautern erwägt bereits, das strafrechtliche Verfahren einzustellen.
Großmanns Gemüt erhitzt sich an einem Zitat der 84jährigen Winnweilerin Selma Jilek, die er auch gleich vor den Kadi bringen will. Selma Jilek - zum Katholizismus konvertierte Jüdin - saß von März bis Mai 1945 im KZ Theresienstadt. Die herzkranke Frau aber kann sich heute „nicht mehr daran erinnern“, den Namen Großmann erwähnt zu haben. Ihre Aussage jedoch ist in einer Gesprächsmitschrift des Autors festgehalten.
Großmann führt zur Entlastung seines Vaters - den Akten zufolge - die Aussage seiner Mutter an, die ihrem Mann zu einem Alibi verhelfen will. Danach sei Karl Großmann in jener fraglichen „Reichskristallnacht“ beim Bauer Geiger gewesen, um dessen krankes Pferd zu kurieren. Allein: Der Hof des Bauern Geiger lag just gegenüber der brennenden Synagoge. Rehberger förderte weiteres belastendes Material über Karl Großmann zu Tage. Unter anderem ein weiteres Interview, das bislang nicht ins Buch einging. So berichtete auch die inzwischen verstorbene Margarethe Thorn Rehbergers Notizen zufolge davon, Großmann habe sich „in einer Metzgerei mit der Zerstörung der Synagoge von Winnweiler gebrüstet“. Überdies war der Veterinär als einer der ersten der NSDAP beigetreten: im August 1932, also noch vor der Machtergreifung.
Nach dem Ende des Nazi-Terrors saß Großmann zwei Jahre lang im französischen Internierungslager in Frankreich. Für Rehberger ein weiteres Indiz dafür, daß der Tierarzt - wie einige andere Honoratioren des Landkreises Rockenhausen ein strammer Nazi war.
Um indes Selma Jelik vor einem Prozeß zu bewahren, gab Rehberger bereits eine Unterlassungserklärung ab und entschuldigte sich „im Sinne einer Schadensbegrenzung“ bei Großmann junior. Dem genügt dies nicht. Er erwirkte vorerst eine einstweilige Verfügung gegen Autor und Verlag. Der Zivilprozeß läßt noch auf sich warten.
Rehberger sieht den Fall mittlerweile als typisch dafür, wie Deutsche mit ihrer Vergangenheit umgehen: „Wie überall, so ist man auch im Landkreis Rockenhausen nach dem Krieg schnell zur Tagesordnung übergegangen. Heute fühlen sich die Täter, ihre Kinder und Enkel bloßgestellt und versuchen nun das Buch zu killen.“
Joachim Weidemann
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