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ANGSTFÄCHER

■ „Iphigenie in Aulis“ im Ensemble Theater

Zwischen Fächern aus Metallstangen, die je nach Beleuchtung an Schiffstakelungen oder Gefängnisgitter erinnern, wurde im Ensemble Theater die Euripideische Tragödie Iphigenie in Aulis inszeniert. Schon zu Beginn macht man allzu deutlich, wohin es mit dieser Interpretation gehen soll. Agamemnon (Wolfram Teufel) sitzt halbtrunken am Boden und entkräftet durch Schnaps seine Klage, daß den Großen unter den Menschen immer ein besonders hartes Schicksal auferlegt ist: er soll seine Tochter Iphigenie der Göttin Artemis opfern, damit diese den Griechen Wind für ihre Fahrt nach Troja verleiht. Unter dem Vorwand, seine Tochter mit Achilleus vermählen zu wollen, hat er sie nun auf die Insel gelockt. Sein Bruder Menelaos (Thomas Hollaender) hat indessen erfahren, daß Agamemnon in seinem Entschluß, Iphigenie zu opfern, schwankend geworden ist: er macht ihm Vorhaltungen, daß er sein persönliches Glück über das aller Griechen stellt.

Das Leid von Menelaos, der seine Frau Helena durch Raub verloren hat, und das Leid von Agamemnon, der seine Tochter für deren Wiedergewinnung aufs Spiel setzen soll, werden in psychologischen Dialogspiralen immer tiefer geschraubt: die Inszenierung unter der Regie von Ingo Lehmenkuehler macht gut sichtbar, wie die Metallstangen der Bühne die eigenen Angstsperren sind. Immer neue Verstrickungsdimensionen fächern sich auf: das Leid von Klytaimnestra (Ursula Stampfli), mehrfach gedemütigt von Agamemnon, der nun noch die Tochter geraubt werden soll, das von Achilleus (Manuel Gernhoff), der sich zunehmend für Iphigenie (Cay Helmich) engagiert: jede Person vermehrt durch ihre Darstellung die Größe des Leids um ihr Maß.

Des Chors beraubt, dient die Intrige als Leinwand, um eine fast zeitgemäße Zerrissenheit der einzelnen Figuren zu projizieren: Agamemnon, Menelaos und Achilleus sind nicht mehr vom Schicksal Getriebene, sondern Opfer ihrer eigenen Entschlußlosigkeit. Aber zu einfach wird Agamemnon auf den Typus des Kleinfaschisten reduziert, der von persönlicher Feigheit bruchlos zu Kriegsfanatismus für Hellas hinüberschwenkt. Die gebrochenen Männerfiguren balancieren auf einem schmalen Grat zwischen Tragik und Komik und verlieren durch die zu deutliche Brechung häufig an Glaubwürdigkeit. Zudem tritt Iphigenie als ganz schöne, empfindsame Seele barfüßig in dieses Männerlager hinein; Klytaimnestra als strenge und doch verständnissuchende Mutter wirkt neben dem kasperlnden Achilleus leicht gouvernantenhaft. Iphigenie, die von ihrem bürgerlich gehauchten „lieben Vater“ doch noch zu antiker Tragik emporwachsen darf, wird im Finale entweibt: anstatt sie als erste Emanzipierte der Theatergeschichte zu nehmen, die sich der (bisher Männern vorbehaltenen) „zivilen Tugend“ würdig erweisen darf, wird sie als versteinerndes Standbild im Schlußbild ihrerseits zur Kriegstreiberin stilisiert.

Michaela Ott

Jeweils Do-Mo, 20.30 Uhr, im Ensemble Theater, Hasenheide 54.

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