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„Die Schule war der einzige Ausweg“

■ Eine junge Algerierin in Frankreich / Das Kopftuch als Symbol der Unterdrückung

Eigentlich sollte Nadja Amiri längst verheiratet sein, mit einer guten Partie in Algerien. So zumindest wollte es der Vater. „Diese Angst, daß deine Eltern dich irgendwann in den Ferien mit nach Algerien nehmen können und dort verheiraten, schwebt wie ein Damoklesschwert über dir, und sie treibt dich an, erfolgreich zu sein.“ Erfolg, das bedeutete für die heute 33jährige Nadja Amiri vor allem eine gute Ausbildung und einen Beruf. Als älteste Tochter kam sie schon als Baby mit ihren Eltern von Algerien nach Paris, wo der Vater eine Arbeit als Techniker bei Renault fand. „Mein Vater hat immer darunter gelitten, wegen seiner Herkunft diskriminiert zu werden und plötzlich ein Niemand zu sein. Der einzige Ort, wo er etwas zu sagen hatte, war die Familie.“

Fast verständnisvoll spricht Nadja Amiri über ihre Eltern, die sich in Frankreich nie integrieren konnten. „Zu Hause herrschte das Gesetz des Islam, und mein Vater hat mich getreu nach diesem Gesetz erzogen. Meine beiden Brüder waren frei, konnten studieren, ich sollte verheiratet werden in Algerien.“ Wie viele algerische Mädchen lebte auch Nadja Amiri ständig in dieser Angst: „Das geht schnell, da wird ein Photo verschickt, und man wird gehandelt wie eine Aktie an der Börse, auch heute noch.“

Bis zu ihrem 18. Lebensjahr besitzen die Kinder der Einwanderer sowohl die französische, als auch die algerische Staatsbürgerschaft, so daß die französische Regierung in solchen Fällen nur unter großen Schwierigkeiten intervenieren kann. „Diese Angst zwingt zu Kompromissen und so habe ich stets die brave Tochter gespielt mit Röckchen und langen Haaren. Wenn meine Freundinnen am Wochenende tanzen gingen, stand ich zu Hause am Herd und kochte Couscous für die Familie.“

Doch Nadja Amiri wollte den Platz, den ihr die Religion zuwies, nicht einnehmen. „Der einzige Weg da raus war für mich die Schule. Denn in der weltlichen Schule haben die Kinder gleiche Bildungschancen, egal ob sie weiblich oder männlich, Moslems oder Christen sind.“ Wie viele junge Algerierinnen, die in Frankreich aufwachsen, wollte Nadja Amiri möglichst schnell ihre eigene Existenz aufbauen. „Mit 18 Jahren konnte ich dann endlich raus aus der Familie, meinen eigenen Weg gehen. Erst da konnte ich sagen: Nein, ich mache keinen Couscous, ich werde nicht heiraten, endlich mal das anziehen, was ich möchte.“ Für die Eltern war die Revolte der Tochter ein Schock, entsprach sie doch gar nicht ihren Vorstellungen, nach denen der Platz einer Frau an der Seite eines Mannes ist.

„Nach islamischen Gesetzen ist die Frau ein Mensch zweiter Klasse und genau diese Vorstellung wollte ich nicht akzeptieren, dagegen habe ich ständig gekämpft.“ Ein Kampf, den viele algerische Mädchen führen und der sicherlich ein Grund dafür ist, daß die Frauen sich leichter in die französische Gesellschaft integrieren als die Männer. „Die Männer haben Positionen zu verlieren, wir haben etwas zu gewinnen“, meint Nadja Amiri.

Heute, mit 33 Jahren, ist sie eine erfolgreiche junge Frau, Krankenschwester und aktive Mitarbeiterin von France Plus, einer französischen Organisation, die für die Rechte junger Immigranten kämpft. „Gerade weil ich für gleiche Rechte kämpfe, halte ich es für notwendig, daß die französische Schule weltlich bleibt. Das Kopftuch ist ein Symbol für die Minderwertigkeit der Frau. Eine Schule, die das Prinzip der Gleichheit vermitteln will, darf das nicht dulden, sonst macht sie sich in meinen Augen unglaubwürdig.“

Katrin Schut

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