: „Oh, schon wieder Krieg“
Marina Goldovskaja zu ihren Erfahrungen mit Sowjets und Deutschen bei den Dreharbeiten ■ I N T E R V I E W
taz: Wann entstand die Idee zu diesem Film?
Marina Goldovskaja: Swetlana Alexijewitsch und ich hatten schon lange die Idee, ihr Buch über Frauen und Kinder im Krieg zu verfilmen. Aber uns fehlte lange der Bezug zur Gegenwart. Als uns die österreichischen Produzenten von „Öko -Media“ dieses Thema anboten, dachten wir immer noch: Oh, schon wieder Krieg. Die russischen Zuschauer sind doch völlig bedient von Kriegsfilmen. Und gerade die Jugendlichen wollen nichts mehr davon hören und sehen, geschweige denn darüber reden. Jetzt haben wir aber bei uns die Möglichkeit, all die Fragen zu stellen, die noch vor zwei oder drei Jahren verboten waren. Und ich habe herausgefunden, wie viel diese Zeit noch mit uns zu tun hat. Du kannst jeden auf der Straße fragen, und jeder hat seine eigene Geschichte mit dem Krieg.
Sie haben auch mit einigen deutschen Familien gesprochen. Welche Erfahrungen haben Sie hier gemacht?
Ich hatte gehofft, Deutsche zu finden, die auch darüber erzählen, wie Deutsche gegen Deutsche kämpfen. Aber das ist mir nicht gelungen. Ich glaube, daß sie nicht so offen mit uns reden können wie die Russen. Sie sind ja auch in einer ganz anderen Situation. Die deutschen Soldaten kamen damals mit der Vorstellung nach Rußland, daß dort Menschen einer niedereren Rasse leben. Sie sahen sehr arme Dörfer und Menschen und fühlten sich in ihrer Vorstellung bestätigt. Sie glaubten, die Überlegeneren zu sein und richtig zu handeln. Das war die Theorie des Faschismus. Unsere Leute haßten die Deutschen zu dieser Zeit noch nicht. Sie fühlten sich einfach als Arbeiter, die ihre Pflicht erledigten. Erst die große Zerstörung schuf den Haß bei der russischen Bevölkerung. Als die ersten deutschen Soldaten unseren Leuten begegneten, sagten sie: Wir sind doch Freude. Du bist Arbeiter, ich bin Arbeiter. Thälmann, Rosa Luxemburg, Lenin, ihr wißt doch... Nein, antworteten die Deutschen, wir werden euch alle umbringen. Anfangs waren wir schockiert. Aber nach zwei Jahren brachten wir die Deutschen mit Genuß um, weil wir wußten, was sie unserem Land antaten. Es gab eine Eskalation der Gewalt, die für beide Seiten sehr nützlich war, denn nur so kann der Krieg funktionieren.
Was hat Sie bei den Erzählungen der Menschen am meisten überrascht?
Es ist völlig egal, ob ein Krieg von Cäsar geführt wird oder von Hitler oder von Stalin. Krieg bedeutet immer zuerst morden und die Unmöglichkeit, während dieser Zeit zu leben. Trotzdem erinnern sich die meisten Leute an den Krieg als die beste Zeit ihres Lebens. Das ist wirklich seltsam. Aber es war die einzige Periode in der russischen Geschichte, in der das Volk wirklich gebraucht wurde. Stalin war sehr geschickt. 1941 wandte er sich mit den Worten „Brüder und Schwestern“ an die Leute. Er benutzte die Menschen immer nur als Material. Als der Krieg begann, hatten die Menschen zum ersten Mal eine Bedeutung, sie waren wertvoll für ihr Land. Das ist die spezifisch russische Geschichte. Wir wurden sogar der Liebe zu unserem Mutterland beraubt. Es war nur erlaubt, Stalin zu lieben.
Eine weitere Überraschung waren für mich die Verhaltensweisen der russischen Soldaten in Deutschland. Darüber wurde in unserem Land niemals geredet. Aber auch das war von Stalin ausgezeichnet geplant. Er gab eine Verordnung heraus, daß jeder Soldat kostenlos drei Wochen lang Pakete nach Hause schicken konnte. So begannen die Plünderungen. Rußland war arm, die Menschen hatten alles verloren und waren voller Haß.
Wann wird die Trilogie fertig sein? Glauben Sie, daß sie im sowjetischen Fernsehen gezeigt wird?
Den zweiten Teil haben wir schon länger fertiggestellt und den Studenten in Moskau vorgeführt. Sie sind sehr zynisch, gerade gegenüber Politik. Normalerweise wollen sie davon nichts hören. Aber was die Leute erzählen, interessierte sie plötzlich. Es sind ganz gewöhnliche Leute, Bauern, die erstaunliche Sachen erzählen. Es gab nie einen Film dieser Art. Am 15.September wird der Film wahrscheinlich fertig sein, und ich hoffe, daß er bei uns im Fernsehen laufen wird. Er ist sehr zeitgemäß. Schade, mir wäre es lieber, wenn dem nicht so wäre.
Das Gespräch führte Marina Schmidt
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