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CSU-Regierung will eine „Bayern-Stasi“ schaffen

■ Regierungsgesetzentwurf für neuen Verfassungsschutz und neue Polizeiaufgaben gerät kräftig unter Beschuß

München (taz) - Herr S. ist in einem mittelständischen Betrieb beschäftigt, der auch für die Bundeswehr arbeitet. Weil Herr S. deshalb regelmäßig eine „Güteprüfstelle“ der Bundeswehr aufsuchen muß, die auf dem Gelände einer Münchner Rüstungsfirma liegt, wird mit seiner Zustimmung eine Sicherheitsüberprüfung durch den bayerischen Verfassungsschutz durchgeführt. Sein Arbeitgeber erhält daraufhin ein Schreiben der Rüstungsfirma, wonach Herr S. als Sicherheitsrisiko einzustufen sei und daher das Firmengelände nicht mehr betreten dürfe. Als sich der Betroffene, um seinen Arbeitsplatz fürchtend, an den Verfassungsschutz wendet, wird ihm lediglich mitgeteilt, er habe sich in einer „extremistischen Vereinigung“ betätigt. Bis heute hat Herr S., der sich keiner „Schuld“ bewußt ist, nicht erfahren, was gegen ihn vorliegt. Er hat noch immer Hausverbot und keine Chance, sich zu verteidigen.

Das wird auch so bleiben, wenn das von der bayerischen Staatsregierung geplante neue Verfassungsschutzgesetz Wirklichkeit wird: Die bespitzelten Personen erhalten allenfalls erst dann Auskunft über die gegen sie vorliegenden Daten, wenn die Interessen des Verfassungsschutzes nicht tangiert werden.

Diese Regelung ist jedoch nur ein Grund, warum in Bayern das Aktionsbündnis „Wer schützt uns vor dem Staatsschutz?“ jetzt auf die Barrikaden geht. Es sieht in der vorgelegten Novelle des Verfassungsschutz- und in der zudem geplanten Erweiterung des Polizeiaufgabengesetzes eine Reihe gravierender Einschränkungen des Rechts auf „informelle Selbstbestimmung“, das das Bundesverfassungsgericht vor sieben Jahren in seinem Volkszählungsurteil verlangt hatte. Zusammengeschlossen sind in der Aktionsgemeinschaft neben Bayern-SPD und Grünen eine Reihe kritischer JuristInnenverbände und die Bundesarbeitsgemeinschaft kritischer PolizistInnen. Letztere sehen sich vor allem durch die gravierende Ausweitung der Polizeikompetenzen im neuen Polizeiaufgabengesetz in die Klemme gebracht: „Diese überflüssige Aufgabenerweiterung stigmatisiert uns als Spitzel und Spione“, erklärt ihr Vertreter Siegfried Krempel. Er meint die umstrittene „vorbeugende Bekämpfung von Straftaten“, die in Bayern bald zur Aufgabe der Polizei werden soll. Wolfgang Killinger von der Humanistischen Union e. V. befürchtet gar: „Die Polizei, bisher an Recht und Gesetz gehalten, wird so zum neuen bayerischen Geheimdienst aufgebaut.“

Durch den möglichen Datenverbund wird aber nicht nur die Trennung zwischen Verfassungsschutz und Polizei aufgehoben; der Artikel 12 des Verfassungsschutzgesetzes sieht auch die Weitergabe der gesammelten Daten an nichtstaatliche Stellen oder auch ins Ausland vor; die in der Bundesrepublik lebenden Kurden etwa würden sich daher bei ihrer politischen Betätigung noch mehr vorsehen müssen. Diese in Kritikeraugen drohende „Bayern-Stasi“ wird ihre Aktivitäten dann ungehindert und gesetzlich sanktioniert etwa in die Türkei melden können. Doch auch für Bundesbürgerinnen und -bürger wird es „immer mehr zum Risiko, von den Grundrechten Gebrauch zu machen“, meint der Grünen-Abgeordnete Hartmut Bäumer.

Kerstin Hartig

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