: Friedensordnung in Europa mit oder ohne Sowjetunion?
■ - das ist die zentrale politische Frage im Hintergrund der Außenministergespräche über Deutschland / Wird die Sowjetunion in das zukünftige europäische Bündnis integriert, oder bleibt sie ein geschwächter und isolierter Gegner auf dem Kontinent? / Bisher setzten die westlichen Länder weiterhin voll auf Konfrontation
Seit Mitte Februar im kanadischen Ottawa die Formel für die heute beginnende Sechserrunde der Außenminister vereinbart wurde, sind in Westeuropa und den USA zahlreiche, vor allem militärpolitische Detailfragen Gegenstand intensiver Erörterungen und Spekulationen: Nato-Mitgliedschaft und Bewaffnung eines künftigen Gesamtdeutschlands, Größe seiner Armee, Wehrdienstdauer, veränderte Strategien, Rolle der Soldaten der Nationalen Volksarmee und so weiter.
Hinter all diesen Detailproblemen verbirgt sich eine zentrale politische Frage, die bislang jedoch nicht offen thematisiert wird: Soll die Sowjetunion ein volles, gleichberechtigtes Mitglied der angestrebten „Europäischen Friedensordnung“ sein, oder bleibt sie - wenn auch geschwächter und in Osteuropa weitgehend isolierter - Gegner auf dem Kontinent?
Der Westen
setzt weiter
auf Konfrontation
Die zahlreichen Beteuerungen aus Bonn, London, Paris oder Brüssel, wonach die „legitimen sowjetischen Sicherheitsinteressen ernst zu nehmen“ seien, können nicht darüber hinwegtäuschen, daß diese zentrale Frage von der übergroßen Mehrheit der politischen Kräfte in Westeuropa negativ, das heißt im Sinne einer weiteren Gegnerschaft beantwortet wird. Das zeigen die bisherigen Positionen: Die Nato soll aufrechterhalten bzw. neue westeuropäische Militärallianzen sollen installiert werden, man beharrt auf der Nato-Mitgliedschaft Gesamtdeutschlands und dem Verbleib US-amerikanischer Truppen in Westeuropa auf Dauer.
Die gestern bekanntgewordene Absicht der Nato, zwar die bislang auf die DDR, Polen, Ungarn und die CSFR gerichteten bodengestützten Atomwaffen weitgehend oder ganz abzuziehen, dafür aber gegen sowjetisches Territorium einsetzbare flugzeuggestützte Abstandsraketen in West- und Südosteuropa zu stationieren, zielt darüber hinaus auf die weitere Isolation Moskaus von seinen bisherigen Bündnispartnern.
Festhalten an
starker deutscher
Armee
Eines der deutlichsten Indizien für eine weiterhin auf Konfrontation in Europa angelegte Politik ist das Bonner Festhalten an einer starken deutschen Armee, das von den drei Westalliierten unterstützt und inzwischen auch von Ost -Berlin mitgetragen wird. Für Moskau dürfte das wohl das größte Hindernis für eine Einigung bei den Sechsergesprächen werden.
Hier unterscheiden sich die Positionen von CDU/CSU, FDP und SPD nicht grundsätzlich, sondern nur in Nuancen: Ob die künftige deutsche Armee 400.000 deutsche Soldaten (CDU/CSU), 300.000 (FDP) oder 240.000 (SPD) haben soll - in allen Fällen wird dies mit einer anhaltenden Bedrohung durch die Sowjetunion begründet.
Moskaus Abrüstungsbereitschaft sei nicht zu trauen, das Riesenland bleibe auf Grund seiner Größe selbst nach weitgehender Abrüstung eine Gefährdung für die Nachbarn in Europa; wegen der „islamischen Bedrohung“ an seiner Südostflanke werde es auf Atomwaffen niemals verzichten, die jederzeit auch wieder auf Westeuropa gerichtet werden könnten - so lauten die Standardargumente. Auch die mögliche Eskalation von Nationalitätenkonflikten in der UdSSR und anderen osteuropäischen Staaten wird ins Feld geführt - als ob das Militär im allgemeinen und ausgerechnet eine deutsche Armee im speziellen ein probates Mittel zur Lösung dieser Konflikte seien.
Die neue Friedensordnung
würde ihren Namen
nicht verdienen
Solange dieses alte Denken die reale Politik bestimmt, wird die vielbeschworene West-Ost-Kooperation immer wieder an Grenzen stoßen, wird es eine „Europäische Friedensordnung“, die diesen Namen verdient, nicht geben. Schon allein, weil die materiellen Ressourcen, die zur Überwindung von wirtschaftlichen, sozialen und Umweltkrisen notwendig wären, weiterhin im militärischen Sektor gebunden bleiben.
Würde die Sowjetunion hingegen tatsächlich als voll gleichberechtigter Partner in einer „Europäischen Friedensordnung“ akzeptiert, entfielen sämtliche Argumente für die Aufrechterhaltung nationaler Armeen sowie eines westlichen Militärbündnisses.
Zu erwägen bliebe allenfalls die Aufstellung einer multinationalen, gesamteuropäischen Friedenstruppe - ähnlich der der UNO - zur Befriedung von zwischenstaatlichen, regionalen oder nationalistischen Konflikten auf dem Kontinent. Allerdings birgt ein solches Instrument aber auch die Gefahr, zur Durchsetzung europäischer Interessen außerhalb Europas eingesetzt zu werden.
Die Sowjetunion
ist geschwächt
Für die außen- und innenpolitisch geschwächte sowjetische Regierung ist die Ausgangslage bei der heute beginnden Außenministerrunde denkbar schlecht. Real lautet die Formel für diese Gespräche nicht 2+4, sondern 17+1 (16 Nato-Staaten und die DDR diskutierten mit der Sowjetunion).
Vielleicht sollte der Kreml die westlichen Politiker beim Wort nehmen, die die Nato als wesentlichen Baustein einer Europäischen Sicherheitsstruktur bezeichnen, und wie 1949 einen Antrag auf Nato-Mitgliedschaft stellen. Das Statut der Allianz läßt dies zu, die Möglichkeit einer Zurückweisung aus außen- und sicherheitspolitischen Gründen sieht es nicht vor. Vor 40 Jahren diente die stalinistische Verfassung der Sowjetunion als Ablehnungsgrund - heute wäre das nicht mehr möglich.
Andreas Zumach
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