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Der klare Kühle aus dem Norden

■ Jürgen Siekers Fotoausstellung „On Stage + Back Stage“ in FOBI'S Fotogalerie / Bis 30.6.

Zum Schwitzen schön, das Sommerwetter draußen. Zum Schwitzen schrecklich, das Menschengedrängel in der Fotogalerie: Wie immer bei Eröffnungen sieht man vor lauter Leuten kaum das, was an der Wand hängt. Wenn man dann aber, hin-und hergerissen zwischen raus und rein, sich durchquetscht und vor den Fotografien steht, wird einem plötzlich sehr angenehm, sehr kühl - als käme ein Luftzug durch die Augen: Von Jürgen Siekers Fotografien geht eine intellektuelle Klarheit aus, die Schweißtropfen trocknet und Körperhitze vergessen läßt, die sich wie Frischluft auf die Sinne legt.

Jürgen Sieker hat beim Fernsehen - bei Radio Bremen und in der NDR-Tagesschauredaktion - fotografiert: „hinter den Kulissen“, wie man das nennt. Ein Blick, der Entmystifikation verspricht, und die liegt - beim Show -Medium Fernsehen - in der Arbeit, die für die Perfektion der Illusion geleistet wird. Das Dilemma des Fotografen allerdings besteht darin, daß sein Kamerablick aufs Fernsehen nun eine neue, ästhetische Mystifizierung im Foto schafft: Siekers Fotografien vermitteln eine so glasklare Sauberkeit und kühle Ruhe,

daß sie wie eine Ikonisierung von Professionalität erscheinen. Dagmar Berghoff zum Beispiel, die sich für ihren Auftritt am Spiegeltisch, zweifach reflektiert, die Lippen schminkt: Vom Bildschirm kennt man sie alterslos, in Schminke, Dauerwelle und Lächeln einbetoniert - auf Siekers Fotografie sieht man die Utensilien, die Batterie von Kosmetika, mit denen sie ihr Fernsehgesicht erarbeiten muß, doch Dagmar Berghoff selbst wirkt auch in dieser Situation so öffentlich und glatt wie vor der Fernsehkamera.

Werner Veigel sieht Sieker anders, und auf der Fotografie muß man ihn erst mal suchen: Im Tagesschaustudio, von oben aufgenommen, sitzt Veigel, der für gewöhnlich mit seinem angefressenen Wanst den Bildschirm sprengt, weit unten an seinem Tisch, wie ein Anhängsel der zahllosen Scheinwerfer, die auf ihn gerichtet sind. Der „Sitzungsraum“ beim Fernsehen, vollständig menschenleer, verströmt eine Eiseskälte: Zwei Aschenbecher auf dem Tisch, Licht nur als sonnige Fensterreflektion an der Wand - das wirkt wie eine Zelle frostiger Unlebendigkeit. Die „Hand am Bildmischpult“, auf beleuchteten Knöpfen liegend,

wirkt wie geröntgt, wie ein fünffingriges Teil der Technik. Und „Blende 2.0“ - ein Foto, das mir besonders gut gefällt zeigt eine nackte Frau von hinten, die, auf die Funktion einer Lichtquelle reduziert, von einem Beleuchter „vermessen“ wird. Obwohl sie vor einem Spiegel steht, zeigt Sieker sie gesichtslos. hierhin bitte die Hand

auf Mischpult

Bildmischer

Ob Sieker Fernsehstars portraitiert, ob er „Verkabelungen“ oder zerknüllte, weggeworfene dpa-„News“ fotografiert: Er

sieht bei seinem Objekt - dem Fernsehen bei der Arbeit - den Menschen ebenso sachlich wie die Produktionssituationen und die Apparate. Sein kühl inszenierender Blick friert Momente eines Arbeitsverhältnisses ein, das gleichermaßen illusionär und realistisch ist. Er ent-glamourisiert, zeigt aber von der Rückseite des J.Sieker

Mediums ein Bild der technokratisierten Schönheit.

Sybille Simon-Zülch

FOBI'S Fotogalerie, Klosterkirchenstr.5

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