: Multikulturell, multinational, offensiv
Gründungsversammlung der Initiative „Netzwerk SOS Rassismus“ in Frankfurt / Vorläufiges Programm bis zum Herbst / Neue Verfassung für eine moderne Gesellschaft gefordert / Besonders der Schutz der Roma liegt dem „Netzwerk“ am Herzen ■ Aus Frankfurt Heide Platen
Gestern wurde das Gründungspapier noch mit Eifer und Kreativität nachgebessert. Zur Konstituierung des „Netzwerk SOS Rassismus“ hatten sich zwei Tage lang rund vierzig Gruppen und Einzelpersonen in Frankfurt getroffen. Kurdische und türkische Gruppen, die „Initiative Schwarze Deutsche“, die Roma-Union, Grüne aus der DDR, die Tamilen-Hilfe, Iraner und Rumänen hatten Delegierte geschickt. Sie beschlossen gemeinsam, das Projekt, daß auch aus Sorge über einen neuen Nationalismus im wiedervereinigten Deutschland entstanden war, europäisch und weltweit zu orientieren.
„Multikulturell“ allein genüge nicht, hatte der Gewerkschafter Yilmarz Karahasan währenddessen zu bedenken gegeben. Vielmehr multinational solle jene neue Gesellschaft sein, in der die ethnische Herkunft der Menschen nicht mehr ausschlaggebend sei für die Zugehörigkeit zu einem Gemeinwesen. BürgerInnen sollten alle dort sein, wo sie lebten.
Die Versammlung forderte die Bürgerrechte für alle hier lebenden und geborenen MigrantInnen und Flüchtlinge, die Legalisierung illegaler Einwanderer, die Wahlmöglichkeit der Staatsbürgerschaft und die Grundrechte auf Wohnen, Arbeiten und politische Betätigung. Statt des neuen Ausländergesetzes sei ein Antidiskriminierungsgesetz notwendig.
Besondere Aufmerksamkeit fanden Osteuropa-Initiativen, die Kritik an der optimistischen Prognose übten, daß der „einstige Ostblock sich geöffnet“ habe und damit „die traditionellen Nationalstaaten an Bedeutung“ verlören. Gabriel Maria Trischler berichtete für das „Menschenrechtskomitee Rumänien“ ebenso über Rassismus in diesen Ländern wie Harald Heller für die Roma-Union. Die Roma seien derzeit in einer besonders fatalen Situation, weil sie, selbst wenn sie seit Generationen in der Bundesrepublik lebten, durch den Wandel in Osteuropa nicht mehr als Verfolgte anerkannt würden. Ein eher finsteres Bild malten auch die beiden Delegierten aus der DDR. Die bisher „abgeschotteten“ DDR-BürgerInnen seien sich nicht im geringsten bewußt, daß sie bei einer Vereinigung Mitbürger von rund fünf Millionen MigrantInnen würden.
Das Netzwerk beschloß außerdem ein umfangreiches Aktionsprogramm, das sich gegen das neue Ausländergesetz richtet. Yalcin Dal forderte zum „zivilen Ungehorsam“ auf: „Wir wollen nicht mehr in die Defensive, sondern in die Offensive.“ Bis zum Herbst sollen sich Ausländergruppen in allen Städten an runden Tischen treffen, das Gründungspapier und den Entwurf einer neuen Verfassung diskutieren und sich dann auf einem gemeinsamen Kongreß im November zusammenfinden.
Zur Koordinierung aller Initiativen setzte das Netzwerk ein vorläufiges Bundesbüro ein, dem dreizehn VertreterInnen angehören. Beitreten können Einzelpersonen, landes- und bundesweite Gruppierungen. Finanziert werden soll das Netzwerk SOS Rassimus aus Mitgliedsbeiträgen, Spenden und öffentlichen Mitteln. (Kontakt: SOS Rassismus, Rotlintstr. 58, 6000 Frankfurt 1, Tel. 069/497599)
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