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Krach im DDR-Kabinett um Sozialunion

■ Sozialunion erweist sich als zentraler Konfliktstoff des Staatsvertrags / Gewerkschaften drohen mit Streiks BRD-Finanzminister Waigel nennt finanzielle Nachforderungen der DDR-SPD unseriös

Berlin (dpa/taz) - In der DDR nehmen die sozialen Spannungen zu. Während Ministerpräsident Lothar de Maiziere (CDU) und Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU) Forderungen der SPD nach einer besseren sozialen Absicherung der Währungsunion zurückwiesen, drohen DDR-Gewerkschaften mit Streiks. Der FDGB verlangte eine Anhebung der Nettolöhne um 50 Prozent zum 1.Juli. Dies lehnte die Regierung umgehend ab.

Der evangelische Konsistorialpräsident Manfred Stolpe sprach in der Wochenendausgabe des 'Neuen Deutschland‘ von „einer gefährlichen Stimmung in der DDR-Bevölkerung“. Stolpe warnte vor einem „heißen Herbst“, falls kein gerechter sozialer Ausgleich gelinge. Ibrahim Böhme (SPD) beschwor die Gefahr eines „latenten Bürgerkriegs“.

Am Freitag hatte die Arbeits- und Sozialministerin der DDR, Regine Hildebrandt (SPD), darauf hingewiesen, daß von den 2,9 Millionen Rentnerinnen und Rentnern in der DDR jeder dritte zum Sozialhilfeempfänger werden würde, falls die von Bonn vorgeschlagenen Regelungen unverändert in Kraft gesetzt würden. Jeder vierte Rentner in der DDR würde nach diesen „Vorschlägen“ weniger Geld bekommen als bisher. Der Vorsitzende der SPD-Volkskammerfraktion, Richard Schröder, regte daher an, in der DDR eine nicht-leistungsbezogene Mindestrente einzuführen.

De Maiziere wies die Forderungen der SPD brüsk als „billige Wahlkampfpropaganda“ zurück. Waigel sekundierte und nannte sie in der 'Bild am Sonntag‘ „unseriös“ und eine „politische Zumutung“ obendrein: „Eine weitere Nachbesserung kommt nicht in Frage!“ Kanzleramtsminister Rudolf Seiters verwies demgegenüber in der 'Rhein-Zeitung‘ darauf, daß Bonn die bisherige Höhe der niedrigen Renten in der DDR „sicherstellen“ werde. Auch ermutigte er Ost-Berlin, eigene Regelungen zum Ausgleich sozialer Härten zu schaffen. Gleichzeitig warf Waigel seinem DDR-Kollegen Walter Romberg (SPD) vor: „Es ist außerordentlich merkwürdig, wenn ein Finanzminister Forderungen erhebt, die noch höhere Defizite in der DDR verursachen.“ Rombergs Verhalten sei „merkwürdig“ und „schon sehr befremdend“.

Zum Aufbau einer Krankenversicherung in der DDR erklärte sich der Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Ortskrankenkassen, Franz-Josef Oldiges: Dabei dürfe den Versicherten in der Bundesrepublik „kein Sonderopfer“ abverlangt werden. Die „mit Sicherheit beträchtlichen“ Anlaufkosten „für eine Krankenversicherung nach westlichem Vorbild“ müßten daher aus dem Staatshaushalt der DDR und aus „dem Beitragsaufkommen der Versichertengemeinschaft der DDR“ bezahlt werden.

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