DER KASPER HEULT

■ Thomas Langhoff inszeniert Taboris „Mein Kampf“

Die ostpreußische Gräfin Dönhoff entsorgte im Metropolenfieber unlängst die Schmuddelflecken der einstigen Reichshauptstadt mit dem Sätzchen, die Identifizierung von Preußen mit dem Nationalsozialismus sei unzutreffend. Denn: Unter den obersten Führern „jener Verbrecherbande“ sei kein einziger Preuße gewesen.

Klar, denn Hitler war Ausländer und das Dritte Reich eine Fremdherrschaft (und die Widerständler alles preußische Junker!). Und Braunau-am-Inn-Hitler kommt ins Wiener Männerheim und fühlt sich als einziger Deutscher. Nur Schlomo Herzl, jüdischer Bibelhändler, wundert sich, als Hitler sich vorstellt: „Komisch, du siehst gar nicht jüdisch aus.“ Un-schuldig kommt die Moral der Exklusivität daher und wird aus heiterem Himmel bedroht: mit der Hereinnahme dessen, was ausschließt. Kein Wunder, daß Hitler sich keine Witze merken kann.

Höchstens den, den ausgerechnet Gott in Gestalt des Kochs Lobkowitz über den Cafeausschluß von „Hunden und Juden“ macht: „Hunde? Das ist ja unerhört!“ Natürlich dürfte genau so die Gräfin wiederum nicht sprechen. Wenn eines Taboris Stück und die katalysatorische Inszenierung Langhoffs ins Gedächtnis prügelt, dann, genau hinzuhören, wer wann wie was redet: Waren es 39 oder 40 Jahre Wüstenexil, gibt es nicht noch 29 weitere Hitler im Telefonbuch, war die Mutter, von einem antisemitischen Kosaken aufgespießt, nicht, wie sich ihr Sohn erinnert, außerdem dick, und sah es nicht komisch aus, wie eine Melone, in zwei Hälften geteilt? Wer darf das so sehen und sagen, unterhalb vorherrschender Un-Schuldsrede vom Großen und Ganzen?

Langhoffs Hitler und diese ganze kleine (Bühnen-)Welt ist, wie Herzl sich tröstet, ein Wahrnehmungsproblem, denn sie geht mit seinem Abgang unter. Das stimmt, und stimmt im Gegenteil: Dieser Schauspielerhitler, ein chaplinesker Bauernrüpel, verklemmt, pathetisch, eingebildet, cholerisch, gymnastisch genial, heimatliedersingend, mit einem Wort: normal, ist nämlich konkreter angelegt als Taboris übriges Typenkabinett: der märchenerzählende Jude Schlomo, das blonde Busengretchen, die mondän-gewollte Todin, die gequälte Huhnkreatur Mizzi. Alle müssen sie für etwas stehen, wo sie doch schon etwas sind.

Wäre nur das Kasperspiel, was sich Theater nennt, immer so ernst, wie in der Szene, wo ein über seine eigene Dummheit verzweifelter Hitler sich zur Beruhigung nationale Wiegenlieder vorheult. Da kann, was der Sinn der Dichtung sein könnte („ungeliebten Kindern Geschichten zu erzählen, bis es sie schaudert“), nur schnell in den Wind zitiert werden. Die Abgründe und Gräber im Bühnenboden sind schon längst zugemacht, mit Tempo bricht Vergangenes als Gegenwärtiges herein. Langhoffs klamaukige Version erzählt Mein Kampf weit hoffnungsloser als Taboris Inszenierung vor zwei Jahren, vorgeführt beim Theatertreffen. Doch diese Haarspalterei - denn nur zum immanenten Werkvergleich tritt Langhoff gegen den Regisseur Tabori an bleibt dem exklusiven Theatertreffenpublikum vorbehalten. Ist doch der Sinn der Dichtung, wie das Theatertreffen nahelegt, sich im Inzest zu entleeren und die so gewonnenen Hülsen zu prämieren. Das mag fürwahr der Sinn sinnstiftender Dichtung sein.

Dorothee Hackenberg