: Schnapsbrennersorgen
Verbrauch sinkend / Trend geht zum Longdrink ■ Suff leicht gemacht
Frankfurt (taz)- Wer Sorgen hat, hat auch Likör. Oder, so sagt es Kurt Grün vom Bundesverband der Deutschen Spirituosen-Industrie, „die Bevölkerung da drüben hatte ja auch nichts anderes“. 6,2 Liter Schnaps und Likör verschnabulierten die BundesbürgerInnen 1989, ihre Landsleute in der DDR schluckten in der leichen Zeit fast dreimal so viel, nämlich über 16 Liter. Ansonsten sah die Bilanz der Schnapsbrenner bei ihrer diesjährigen Jahrespressekonferenz in Frankfurt allerdings eher trübe aus.
Der Trend geht abwärts bei den harten Sachen und hin zu weniger hochprozentigen Weinen, Sekt und Longdrinks. Er konnte nur gehalten und um ein Geringes gesteigert werden, weil die Hersteller - sozusagen - hektoliterweise Eulen nach Athen trugen. Sie lieferten knallharten Alkoholrohstoff nach Polen. Dort war der Wodka, Folge von Perestroika und Glasnost, knapp geworden.
Daß es dennoch „Blütenträume“ seien, wenn bundesdeutsche Hersteller vom Markt im Osten einen grenzenlosen Boom erhoffen, sah Verbandsvertreter Gantert glasklar. Zwar sei der Markt in der DDR derzeit „chaotisch“ und werde gesetzesfrei mit hiesigem Alkohol überschwemmt, werde sich aber nach dem 2. Juli dergestalt ordnen, daß die DDR das hiesige Brandweinmonopolgesetz übernehme. Sein sichtliches Grausen vor einer gesamtdeutschen Null-Promille-Regelung demonstrierte er mit dem todesmutien Verzehr eines großen Glases Mineralwasser „anstatt“. Das halte schließlich nicht einmal der zuständige hiesige Minister durch. Überleben, prognostizierte er, werden in der DDR nur einige wenige der über 50 volkseigenen Betriebe und einige kleine Privatbrennereien. Schnaps hätten die DDRler schließlich immer schon mehr als genug gehabt. Ihre Neigung orientiert sich zur Zeit mehr in Richtung Markenartikel und hin zur bisherigen Mangelware Wein und Sekt.
Gantert ahnte da etwas voraus, was auch bundesdeutschen Konsument Innen scharf gebrannten Alkohols längst aufgefallen ist: Produkte wie Eckes Edelkirsch oder Racke rauchzart sind eben eher Reminiszenzen an die 50er Jahre als ein ungetrübter Genuß. Und bei den Obstschnäpsen verlassen sich vor allem die Süddeutschen lieber auf ihren Hausgebrannten. Ergo: der Staats kassierte 1989 79,1 Millionen Mark weniger Branntweinsteuer, insgesamt bei einer Produktionsmenge von 530 Millionen Flaschen nur ganze 3.920 Millionen Mark. Es geht eben nichts über einen guten Cognac. Dennoch, Schnaps ist Schnaps. Und darum machte der Verbandschef Grün, einen waschecht norddeutschen Witz: „Wenn Gott gewollt hätte, daß wir Wasser trinken, dann hätte er nicht so viel davon versalzen.“
Heide Platen
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