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Erinnerung als Schlüssel der Versöhnung

■ Gedenkstunde in der Volkskammer zum Jahrestag der Befreiung vom Faschismus / Sabine Bergmann-Pohl: „Chancen der Befreiung wurden nicht genutzt“ / Lothar de Maiziere empfing Repräsentanten des Jüdischen Weltkongresses / Gedenken vor der Wannsee-Villa

Berlin (taz) - Die Last der deutschen Geschichte „geht über das Jahr 1945 hinaus“. Das war einer der Schlüsselsätze in der Rede von Volkskammerpräsidentin Sabine Bergmann-Pohl, mit der sie gestern an den 45. Jahrestag der Befreiung Deutschlands vom Faschismus gedachte. Allerdings redete sie vor halbleerem Plenarsaal, da den Abgeordneten der Volkskammer die Teilnahme an dieser Feierstunde freigestellt worden war. Zuvor hatte die CDU-Politikerin Kränze am sowjetischen und polnischen Ehrenmal niedergelegt.

„Viele waren schuldig geworden. Alle sind verantwortlich und verpflichtet“, erinnerte Frau Bergmann-Pohl an die Geschichte des Nationalsozialismus. Die Chancen der Befreiung von der Diktatur am 8. Mai 1945 seien in der DDR jedoch nicht genutzt worden: „Die Versuchung, schnell, allzuschnell auf der Seite der Sieger stehen zu können, machte manchen zum Handlanger gewaltsamer Machtausübung“. Deshalb auch müsse sich heute jeder selber prüfen, ob sein Ruf nach Strafe der früheren Machthaber „nicht die eigene Zaghaftigkeit von gestern verdrängt.“ Und: „Wir sind auch mitverantwortlich für die erneute Verfolgung und Entwürdigung jüdischer Mitbürger nach dem Kriege in unserem Land, für eine Politik der Heuchelei und Feindseligkeit gegenüber dem Staate Israel.“

Nicht nur Bergmann-Pohl, auch Lothar de Maiziere verstand es gestern, eine bemerkenswerte Rede zu halten. Die Repräsentanten des Jüdischen Weltkongresses, die in Berlin zum ersten Mal auf deutschem Boden tagten, hatte der Ministerpräsident im Berliner Palast-Hotel zu einem Empfang geladen. „Geschichte ist nicht zu bewältigen, sondern nur ehrlich und wahrhaftig zu leben“, war einer der wichtigsten Sätze in seiner Ansprache.

Zuvor hatten sich 300 Teilnehmer des Weltkongresses zu einer Gedenkveranstaltung vor der „Wannsee-Villa“ in West -Berlingetroffen, in der die Nazi-Führer am 20. Januar 1942 den Völkermord an den Juden als „Endlösung der Judenfrage“ beschlossen hatten. Bewegt hörten die Versammelten einer in Deutsch, Englisch und Hebräisch vorgetragenen „Wannsee -Deklaration“ des jüdischen Friedensnobelpreisträgers Elie Wiesel zu. „Wenn die Wände nur reden könnten“, klagte der Schrifsteller. Die meisten Deutschen hätten sich in der Vergangenheit geweigert, sich zu erinnern. Die Erinnerung sei aber stärker als ihre Widersacher, und die Hoffnung der Juden habe ihre Angst besiegt.

usche Siehe auch Tagesthema S.3

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