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Aus dem Land, in dem Mädchen abgetrieben werden

■ Eindringliche Information aus erster Hand: Plakatserien indischer Frauengruppen im Überseemuseum

Schulbuch-Klischees in Indien: Der Junge, der mit dem Fahrrad Richtung Schule fährt, er könnte genauso gut in einer bundesdeutschen Lese-Lern-Fibel abgedruckt sein. Aber das Mädchen im indischen Schulbuch, was tut es? Es schiebt keine Puppenwa

gen und es hilft auch seiner Mutter nicht beim Kuchen -Backen. Nein: die kleine Inderin tut nichts - außer eine Banane zu essen. Merke: Ein Mädchen ist eine Belastung, ein Luxus, eine unnütze zusätzliche Esserin, die nur kostet. Und wenn sie erwachsen ist,

wird es noch schlimmer, dann müssen ihr die Eltern eine teure Mitgift verschaffen, um sie verheiraten zu können.

Dieses Plakat über Geschlechter-Klischees ist Teil einer Plakatserie, die Inderinnen und „terre des hommes„ -Mitarbeite

rinnen entworfen haben, um unter indischen Frauen „Bewußtseinsarbeit“ zu leisten. Zusammen mit zwei weiteren Plakatserien, die von indischen Frauengruppen in Handarbeit mit Filzstiften und Aquarellfarben gefertigt wurden, sind die Aufklärungsmaterialien seit gestern im Überseemuseum zu besichtigen.

Christa Dürr („terre des hommes“): „Wir wollen damit aufhören, uns über die Probleme der Inderinnen ein Bild zu machen. Wir wollen sie selbst sprechen lassen.“ In Indien hängen die Aufklärungsplakate nicht im Museum und hinter Glas, sondern werden zusammengerollt in Plastiktüten von Frauentreffen zu Frauentreffen geschleppt und reihum betrachtet und kommentiert.

Zentrales, ergreifendes Motiv auf den Plakaten der Inderinnen: Der weibliche Fötus in der Fruchtblase, der mit einer Spritze abgetötet wird. Blut spritzt, Mädchen, am Plakatrand plaziert,

weinen rote Tränen, einer ist der Kopf vom Rumpf getrennt, Hände und Füße sind abgehackt. Mit der Fruchtwasser -Untersuchung („Amniozentese“) lassen die Eltern das Geschlecht des Fötus ermitteln, um ihn - falls es sich um einen weiblichen handelt - abtreiben zu lassen. Eine indische Studie für den Raum Bombay belegt, daß dort 7.999 von 8.000 nach einer Fruchtwasser-Untersuchungen abgetriebene Föten weiblichen Geschlechts waren.

Andere Plakate gehen auf die Geringschätzung der Mädchen ein: Obwohl sie mehr arbeiten müssen als ihre Brüder, müssen sie sich mit Essensresten begnügen (siehe Illustration). Am Schluß ein Plakat, das schmunzeln läßt: Eine Landfrau hat sich auf einen Traktor geschwungen, in der einen Hand das Lenkrad, in der anderen die Sichel: Auf in den Kampf!

Barbara Debus

„Junge oder Mädchen“, „Mädchen in Indien - ein benachteiligtes Kind“ und „Frauen auf dem Land“ heißen die drei Teile der Ausstellung, die bis zum 8. Juni im Überseemuseum zu sehen ist. Eine Führung empfiehlt sich, Anmeldung unter Telefon: 171910.

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