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„Ressource Humankapital“

■ Medienspektakel zur Dritte-Welt-Problematik: „Eine Welt für uns alle“ / Solidaritätsgruppen kritisieren Oberflächlichkeit des Projekts / Frage nach der Verantwortung der Industrienationen wird nicht gestellt

Es sieht in diesen Tagen so aus, als hätten die Gruppen, die sich seit Jahren um Aufklärung über die Ursachen von Hunger und Elend in der Dritten Welt bemühen, endlich ihr Ziel erreicht. Denn von letzter Woche an bis zum 27. Mai läuft in vielen Städten, in Zeitungen, in Rundfunk- und Fernsehprogrammen eine großangelegte Kampagne unter der Überschrift Eine Welt für alle!

„Angesichts von Umweltzerstörung, Hunger und Krieg“, so heißt es in einer Selbstdarstellung der Veranstalter dieser Projektwochen, „muß die Erkenntnis wachsen, daß wir alle in einer Welt leben. Wer leben will, muß daher wollen, daß alle leben können. Unter gleichen Bedingungen.“ Und das wollen scheinbar viele. Denn zu den Trägerorganisationen dieses Projektes gehören mehr als drei Dutzend große „Hilfsorganisationen“ und Stiftungen. Und was Dritte-Welt -Gruppen sonst meistens versagt bleibt, ist den Veranstaltern des Projekts Eine Welt für alle sicher: das Interesse der Medien. Schließlich stammt die Idee vom NDR-Fernsehdirektor Rolf Seelmann-Eggebert.

Allein ARD und ZDF strahlen aus diesem Anlaß im Mai über 50 Sendungen aus: ein buntes Allerlei von Konflikten und Kontinenten, Spielfilmen und Musikspektakeln. Mit Beiträgen von Bischof Sterzinsky bis Prince Charles (Visions of Earth) und Diskussionsrunden von Brandt bis Gorbatschow. Die Sendungen laufen zur selben Zeit in ganz Europa und werden interessierten Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas kostenlos zur Verfügung gestellt, so daß voraussichtlich mehr als 40 Länder der Welt Beiträge zeigen können.

Um zu zeigen, „daß Entwicklungsländer trotz wirtschaftlicher Armut kulturell reich sein können“, stellt die ARD in ihrer Reihe Hundert Meisterwerke Zeugnisse von Dritter-Welt-Kunst vor. Die Sendung Die Welt in unserer Hand am 20. Mai verspricht einen kompletten Abriß aller aktuellen Probleme der Welt: Welthunger, Klimakatastrohen, militärische Konflikte in einem 38-Minuten -Potpourri.

Die sogenannten Aktionen während der Projektwochen reichen vom Malwettbewerb in den Schulen des Berchtesgadener Landes bis zum Fahrradkorso in Aachen. Im Dom von Freising gibt es eine „thematisch orientierte Maiandacht“ und im Landkreis Deggendorf ein „Drei-Länder-Essen“. Die Dritte Welt ist also in aller Munde. Und diesmal soll das ganze Spektakel nicht wie noch beim Tag für Afrika - zu gefüllten Spendenkonten führen, sondern „zur Bewußtseinsbildung“ über die Nord-Süd -Problematik beitragen - so der Anspruch der Veranstalter.

Und trotzdem haben viele Aktionsgruppen und Dritte-Welt -Fachleute ihre Mitarbeit an diesem europaweiten Medienspektakel zur Dritten Welt verweigert. Dazu gehören mehrere hundert Solidaritätsgruppen, die sich im Bundeskongreß der entwicklungspolitischen Aktionsgruppen zusammengeschlossen haben, wie auch Mitglieder des Arbeitskreises Entwicklungspolitik des WDR. Und während die großen kirchlichen Hilfsorganisationen die offiziellen Projektwochen mitveranstalten, gehören nichtstaatliche Hilfsorganisationen wie die Aktion Solidarische Welt, Terre des hommes und medico international zu den Kritikern. Sie haben ihre Gründe.

In der Stellungnahme von Terre des hommes zu den Projektwochen heißt es: „Die dort angeschnittenen Probleme soziale und wirtschaftliche Krise der Länder der Dritten Welt sowie die Zerstörung der ökologischen Lebensgrundlagen

-sind zu komplex, als daß sie in einem Medienspektakel spektakulär und ohne klare Zielrichtung abgehakt werden sollten. Statt einer Aneinanderreihung von Themen sollten Roß und Reiter klar genannt werden: die Industrieländer profitieren von der Krise der Dritten Welt, sie sind nach wie vor die Hauptzerstörer der Umwelt.“

Der Verleger Jürgen Horlemann hatte bereits nach dem Tag für Afrika 1985 in einer Studie festgestellt, daß diese „mit großem Aufwand betriebenen Kampagnen der Rundfunkanstalten keine aufklärerische Darstellung boten“. In einem Diskussionspapier für das Dritte Welt-Journalistennetz stellt Horlemann jetzt wieder fest, daß die Kernaussagen des Aufrufes Eine Welt für alle, die da heißen „Gegen Hunger und Gleichgültigkeit, für Brot und Gerechtigkeit“, von den wahren Ursachen der ungleichen Entwicklung auf der Welt ablenken: der kolonialen Ausbeutung der Vergangenheit und den auf neokolonialer Abhängigkeit beruhenden Wirtschaftsbeziehungen der Dritten Welt zu den Industrienationen. Nach Horlemann lauten die brennenden Fragen nicht: „Brauchen wir eine neue Weltwirtschaftsordnung?“, sondern „Wer verhindert sie?“, nicht „Stimmen die Prioritäten der Entwicklungsländer?“, sondern „Wer bestimmt sie?“.

Tatsächlich fehlt in den offiziellen Papieren der Veranstalter dieser Projektwochen jeder eindeutige Hinweis darauf, daß die Verursacher für die Ausbeutung und Verschuldung der Dritten Welt auch in den Chefetagen von Banken, Konzernen und Regierungen der Bundesrepublik sitzen. Und es gibt auch keine Aktionen im offiziellen Projektprogramm, die sich gegen die Mitschuldigen für das Elend in der Dritten Welt in unserem eigenen Land richten. Im Gegenteil: Einige von ihnen wurden sogar ausdrücklich eingeladen, am Projekt Eine Welt für alle teilzunehmen.

So hat der CDU-Politiker und Bundespräsident Richard von Weizsäcker, der schon so viele Diktatoren der Dritten Welt so freundschaftlich empfangen und besucht hat, die Schirmherrschaft für diese Projektwochen übernommen. Ein Höhepunkt des ARD-Programmschwerpunktes soll eine Livediskussion per Satellit am 22. Mai werden, an der von Weizsäcker, UNO-Generalsekretär Perez de Cuellar und der tschechische Staatspräsident Vaclav Havel teilnehmen sollen.

Der Bundespräsident sieht in der Zerstörung der Natur eine „zeit- und grenzüberschreitende Erscheinung, die sogar Menschen erfaßt, die weit vom Verursacher entfernt sind“. Gemeint ist, auch wir könnten von der Klimakatastrophe und anderem mehr betroffen werden, ohne etwas dafür zu können. Dabei wird wieder verschwiegen, daß nicht brasilianische Landarbeiter oder philippinische Bauern, sondern bundesdeutsche Konzerne, die die Regenwälder vermarkten, zu den Hauptverursachern der ökologischen Krise in der Dritten Welt gehören.

In einem Begleitbuch zum Projekt Eine Welt für alle des Horizonte-Verlags sind „Visionen großer Denker der Gegenwart in Originalbeiträgen“ gesammelt, von Karl Heinz Böhm bis Hubert Weinzierl. In diesem Buch darf auch Dieter Tober als Generalbevollmächtigter einer deutschen Bank seine Vision einer „Welt für Investmentbanker, Devisen- und Börsenhändler“ entwerfen, die dem Bild des „Welt-Dorfes“, also der Einen Welt für alle, bereits sehr nahe sei. Für den Bankier ist die Dritte Welt nur interessant, weil es gewaltiger Forschungskosten des „Weltkmarktes“ bedarf, um so wörtlich - „angemessene Gewinne einzufahren“. Und die Dreiviertel der Menschheit, die heute unter diesen Wirtschaftsstrategien leiden, kommen in der Projektvision des Bankiers ohnehin nur als „Ressource Humankapital“ vor.

Und so sorgen die Medien in unserer Welt für alle, die einen Fernseher besitzen, wieder einmal dafür, daß jene vom Präsidenten bis zum Bankier - noch von den Werbeeffekten eines Spektakels profitieren können, das angeblich zu Gunsten der Opfer ihrer Politik veranstaltet wird.

Die wenigen möglicherweise aufklärerischen Beiträge während der Projektwochen werden in einer Phrasenflut untergehen, die von Diskussionsrunden zu erwarten ist, an denen so prominente Internationalisten und Weltverbesserer wie Papst Johannes Paul oder gar US-Präsident Bush „mitwirken“ sollen. Sicher werden die gerne die Projektidee aufgreifen, daß doch „alle Menschen in einem Boot sitzen“.

Hinweise darauf, daß - um im Bild zu bleiben - die große Mehrheit der Weltbevölkerung zum Rudern gezwungen wird, während eine kleine Minderheit aus unserer Ersten Welt die Kommandos gibt, werden wieder einmal zerredet, wenn nicht ganz verschwiegen werden und nach den drei Projektwochen wieder auf dem Platz der Medienberichterstattung landen, den sie schon vorher hatten: den letzten.

Karl Rössel

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