: Simulation statt Kritik
■ betr.: "Die postsozialistische Linke", taz vom 30.4.90
betr.: „Die postsozialistische Linke“, taz vom 30.4.90
Was Cohn-Bendit in der taz räsoniert, ist nicht Kritik, das heißt die Unterscheidung von wahr und falsch, sondern ihre Simulation. Die Methode dieser politischen Unterhaltung will nicht Meinungsstreit, sondern Atmosphäre, Betriebsklima fürs Bestehende.
Der „geschichtliche Prozeß“, dem der Einzelne ohnmächtig gegenübersteht, wird von Cohn-Bendit konsequent noch im Bewußtsein zum ontologischen Schicksal hochstilisiert, dem man sich anpassen muß, wenn ihn nur die „Mehrheit der Menschen“ akzeptiert. Objektive Interessen gibt es nicht, statt dessen die unmittelbaren, die man am Stammtisch und sei es in einem Fernsehstudio von sich gibt.
Diese Beliebigkeit erlaubt die ungehinderte Produktion um der Produktion willen, die zugleich scheinheilig und konsequenzlos beklagt wird als Ursache der Umweltzerstörung. Damit niemand solchen Blödsinn durchschaut, muß er die kritische Theorie wegräumen. Sie ist für ihn „obsolet“, auf ihre Theoreme braucht man deshalb auch nicht mit Argumenten reagieren.
Umstandslos setzt er die Marxsche Theorie mit dem bürokratischen Kollektivismus der Sowjetunion gleich nach der CDU-Parole „Freiheit statt Sozialismus“. Da für Cohn -Bendit Begriffe wie ihre Logik zeitbedingte „Ansätze“ sind, wie er, up do date, im Wissenschaftlerjargon sagt, kann er alles historische Bewußtsein auf den Müllhaufen werfen und zugleich „ohne die geschichtsphilosophische Krücke des Marxismus“ von einer „historischen Phase“ schwätzen.
Dagegen gilt es, die schlichte Wahrheit hervorzuheben, daß Theorien aus allgemeinen Sätzen bestehen, die nicht durch singuläre historische Ereignisse „zusammenbrechen“ können. Das wäre die gleiche Logik, als sagte jemand: Da mein Auto nicht fliegt, ist die Physik zusammengebrochen. Dieser pauschalen Negation, die sich aller Argumente enthoben wähnt, muß man entgegnen, daß der Erfahrungsgehalt einer Theorie aufgehoben werden muß, wenn das menschliche Denken nicht mehr wieder von vorn anfangen will. So sind für eine recht verstandene Philosophie Platon und Descartes oder Marx noch genau so aktuell wie zu ihrer Zeit.
Die Verneinung historischen Bewußtseins ist nichts anderes als ein Aufruf zur Verdummung, antiaufklärerisch und menschenfeindlich. An den theoretischen Rülpsern eines Cohn -Bendit, der auch schon mal ein anderes Niveau hatte, kann man die Unfähigkeit des durchschnittlichen Intellektuellen erkennen, die Geschichte als sich entfaltende Totalität zu verstehen. Das „Endstadium der Menschheit“, das Cohn-Bendit wie konservative Ideologen der Marxschen Theorie fälschlich einverleibt, ist nach ihm scheinbar erreicht mit der „demokratischen“ und „multikulturellen Gesellschaft“.
Säuberlich trennt er allerdings davon die kapitalistische Produktionsweise ab, „die die Welt zerstört“, als ob sie nicht in der organisierten Demokratie und im multikulturellen Weltmarkt ihren adäquaten Ausdruck findet. Wenn 99 Prozent der Parlamentarier für die „soziale Marktwirtschaft“ Gesetze machen, dann stehen sie in guter Gesellschaft zur Jasagemaschine Honeckers, nur haben sie wahrscheinlich mehr Illusionen. Unter dem Schein von Opposition a la Cohn-Bendit können sie sich einbilden, sie hätten bereits eine.
B.Gaßmann, Inhaber der Zeitschrift für materialistische Ethik „Erinnyen“
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