„Geschichte ist nicht zu bewältigen“

■ DDR-Ministerpräsident de Maiziere empfing Repräsentanten des Jüdischen Weltkongresses, der erstmals in Berlin tagte / Höhepunkt war gestern eine Gedenkveranstaltung vor der „Wannsee-Villa“ / Volkskammer gedachte des 45. Jahrestages der Befreiung vom Faschismus

Berlin (taz) - Mit Veranstaltungen wider das Vergessen und Schweigen ging am gestrigen 45. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus die Tagung des Jüdischen Weltkongresses in Berlin zu Ende. Zum ersten Mal in seiner Geschichte hatte er sich auf deutschem Boden getroffen. Höhepunkt der Zusammenkunft war eine Gedenkveranstaltung vor der „Wannsee-Villa“ in West -Berlin - dort hatten die Naziführer am 20.Januar 1942 den Völkermord an den Juden als „Endlösung der Judenfrage“ beschlossen. 300 Teilnehmer hörten einer in Deutsch, Englisch und Hebräisch vorgetragenen „Wannsee-Deklaration“ des jüdischen Friedensnobelpreisträgers Elie Wiesel zu. „Wenn die Wände nur reden könnten“, klagte der Schriftsteller. Die meisten Deutschen hätten sich in der Vergangenheit geweigert, sich zu erinnern.

Anschließend stand ein Empfang in Ost-Berlin auf dem Programm, zu dem die DDR-Regierung eingeladen hatte. „Geschichte ist nicht zu bewältigen, sondern nur ehrlich und wahrhaftig zu leben“, war einer der wichtigsten Sätze in der bemerkenswerten Ansprache von DDR-Ministerpräsident Lothar de Maiziere.

Auch seine Parteifreundin Sabine Bergmann-Pohl (CDU) redete gestern ihren Landsleuten ins Gewissen. Die Last der deutschen Geschichte „geht über das Jahr 1945 hinaus“ - das war einer der Schlüsselsätze in der Rede der Volkskammerpräsidentin in der parlamentarischen Feierstunde zum Jahrestag des Sieges über den SS-Staat. Frau Bergmann -Pohl mußte allerdings vor halbleerem Plenarsaal reden. „Viele waren schuldig geworden. Alle sind verantwortlich und verpflichtet“, erinnerte sie die Deutschen an ihre Geschichte des Nationalsozialismus. Die Chancen der Befreiung am 8. Mai 1945 seien in der DDR jedoch nicht genutzt worden: „Die Versuchung, schnell, allzuschnell auf der Seite der Sie ger stehen zu können, machte man chen zum Handlanger gewaltsamer Machtausübung.“ Deshalb auch müsse sich heute jeder selber prüfen, ob sein Ruf nach Bestrafung der früheren Machthaber „nicht die eigene Zaghaftigkeit von gestern verdrängt“. Und: „Wir sind auch mitverantwortlich für die erneute Verfolgung und Entwürdigung jüdischer Mitbürger nach dem Kriege in unserem Land, für eine Politik der Heuchelei und Feindseligkeit gegenüber dem Staate Israel.“

usche Siehe auch Tagesthema Seite 3

und Hintergrund Seite 13