: Hilfen zum Ausverkauf gefragt
■ Zum Warnstreik im textil- und lederproduzierenden Gewerbe der DDR wider die Absatznöte
Die Beschäftigten der Leder- und Textilindustrie der DDR wollen heute mit einem Warnstreik den Großhandel zwingen, anstatt der in Mode kommenden Westklamotten, wieder ihre Produkte abzukaufen. Hätte der Streik Erfolg, wäre ein anderer Streik vorprogrammiert: Die Beschäftigten des Leder und Textilgroßhandels ihrerseits müßten dann per Arbeitsniederlegung die Endverbraucher dazu zwingen, wieder Mode made in Cottbus oder Forst zu kaufen. Ob's klappt?
Es ist unschwer zu erkennen, daß es sich hier nicht um einen Textil-Streik nach herkömmlichem Strickmuster handelt. Er entbehrt im übrigen auch nicht einer gewissen Ironie in der Logik: Bitteschön - wenn Ihr meine Produkte nicht mehr kaufen wollt, dann drohen wir damit, keine mehr herzustellen. Es mangelt an Druckmitteln. Zu vergleichen wäre die Aktion also eher mit einem Hungerstreik oder studentischen Streiks. Entscheidend ist hier allerdings die Frage, gegen wen sich dieser Warnruf richtet.
Monatelang waren die langweiligen Befürchtungen zu hören, die bösen bundesdeutschen Großkonzerne würden jetzt zum Ausverkauf in die DDR reisen, und sich für 'n Appel und 'n Ei die dortigen Betriebe einverleiben und obendrein die Region insgesamt als Billiglohnland mißbrauchen. Diese Perspektive wird derweil überlagert durch ganz andere berechtigte - Ängste der DDR-Beschäftigten: Daß nämlich die Konzerne eben nicht kommen, und die veralteten Produktionsstätten samt völlig innovationsunerfahrener Betriebsleitungen ihrem sehr gewissen Schicksal überlassen: Abriß und Frührente. Da dies im Rahmen des ersehnten Marktsystems ein betriebswirtschaftlich durchaus logisches Verhalten ist, hilft alles nichts: Die Niederlassung der Westkonzerne im Bereich der DDR respektive deren „Ausverkauf“ zum Zwecke der Modernisierung wird von Bonn ebenso milliardenschwer gefördert respektive „versüßt“ werden müssen, wie es in der BRD bei der Umstrukturierung der Stahlbranche oder des Bergbaus der Fall war. Das hat Jahre gedauert. Und solange dieser Prozeß nicht abgeschlossen ist, wird es in der künftigen Ost -Bundesrepublik nicht das Westlohnniveau geben können. Wer etwas anderes behauptet, lügt. Das erfordert in Bonn allerdings die Abkehr von der Milchmädchenrechnung über die Einigung zum Nulltarif. Für warnende Aktionen der DDR -Beschäftigten gibt es daher nur einen sinnvollen Ort: den Eingang zum Bundeskanzleramt.
Ulli Kulke
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