: Spaniens Prostituierte organisieren sich
Erste Hurenorganisation in Madrid gegründet / Prostitution kommt im spanischen Gesetz gar nicht vor / Prostituierte sind völlig ungesichert / Sozialhilfe soll verhindern, daß Frauen noch mit 60 auf den Strich müssen / Madrider Polizei unterstützt das Projekt aktiv ■ Aus Madrid Antje Bauer
Vom Gesetz her gesehen gibt es sie überhaupt nicht: die Prostituierten in Spanien. Unter Franco war Prostitution weder verboten noch erlaubt. Doch es gab einen Paragraphen gegen „Erregung öffentlichen Ärgernisses“ und damit wurden Huren immer wieder in Razzien eingesammelt und mit empfindlichen Geldstrafen belegt. Seit dem Ende der Diktatur gibt es zwar keine Razzien mehr, aber ansonsten hat sich nichts geändert. In den engen Gassen der spanischen Stadtzentren stehen sie und warten auf Freier. 16jährige mit eingefallenen Gesichtern und ausdruckslosen Augen erarbeiten sich hier das Geld für die nächste Heroindosis. Die Besseren arbeiten in Clubs und legen Geld zurück, in der Hoffnung, irgendwann einmal aussteigen zu können.
Andere stehen häufig noch mit 60 auf der Straße. Zahnlose, verwüstete Frauen, die für einmal Oralverkehr nur noch 500 Pesetas (8 DM) verlangen können und nachts in den finstersten Absteigen unterkriechen müssen, weil der Staat sich nicht um sie kümmert. „Unsere wichtigste Forderung ist die Sozialfürsorge“, sagt Tere. Sie ist eine der Organisatorinnen der ersten Hurenvereinigung Spaniens, dem „Prostituiertenkollektiv des Stadtzentrums von Madrid“. Der Verein ist vor kurzem offiziell anerkannt worden, Tere sieht darin einen ersten Schritt zur gesetzlichen Regelung der Prostitution. Die Sozialfürsorge gäbe Prostituierten Anrecht auf kostenlose ärztliche Behandlung, auf eine Pension, wenn sie das Rentenalter erreichen und auf eine Versorgung ihrer Kinder, wenn ihnen etwas zustößt, erklärt sie. Tere, 34, hat vier Kinder und hofft, in zehn Jahren die Prostitution an den Nagel hängen zu können. Dann möchte sie einen Laden aufmachen.
Der Weg zur ersten spanischen Hurenorganisation hatte mit einem ungewöhnlichen Treffen begonnen. Chefinspektor Ricardo Pardeiro, zuständig für Bürgerkontakte im Madrider Stadtzentrum, hatte einige Prostituierte auf das Kommissariat zitiert, um sich mit ihnen über ihr Verhältnis zur Polizei zu unterhalten. „Sie beschwerten sich über grobes Verhalten einiger Polizisten ihnen gegenüber, aber als Schutz empfanden sie sie nicht“, berichtet der Inspektor. In Folgegesprächen mit den Prostituierten entstand die Idee, ein Kollektiv zu gründen. Das Projekt wurde von Pardeiro selbst heftig vorangetrieben. Er suchte den Frauen einen Anwalt, um die Statuten aufzusetzen, begleitete sie zur Madrider Landesregierung, um das Anliegen dort vorzutragen und war dabei, als kürzlich ein Mietvertrag ausgehandelt wurde für eine Wohnung, die als Vereinssitz dienen soll. Der Kontakt zu den Huren läuft über den Inspektor, und das Gespräch mit Tere findet im Kommissariat statt. „Die Prostituierten sind eine Gruppe wie jede andere auch, und können als Organisation ihre Interessen besser verteidigen als vereinzelt“, erklärt der Inspektor.
So ganz nebenbei kommt die Zusammenarbeit aber auch polizeilichen Interessen zugute. „Wir wollen, daß Polizeistreifen zu Fuß dort patrouillieren, wo wir arbeiten“, fordert Tere, „damit diejenigen verschwinden, die die Prostitution als Deckmantel für andere Dinge benutzen und unsere Kunden verschrecken.“ Gemeint sind Drogenhändler, die ihre Waren auch an Huren verkaufen, Hehler und - nach Aussagen von Pardeiro - auch Frauen, die sich nur scheinbar prostituieren, in Wirklichkeit aber ihre Kunden ausrauben. Der Polizei kann es nur angelegen sein, die Madrider Altstadt unter Kontrolle zu bringen, bevor die Kapitale 1992 zur Kulturhauptstadt Europas erklärt wird.
Die Landesregierung von Madrid unter der sozialistischen PSOE bemüht sich, die Prostituierten mit Beratungsstellen und Aussteigeangeboten zu unterstützen. Ihr neuestes Projekt: Im Stadtzentrum soll ein Lokal eingerichtet werden, in dem sich Huren ausruhen, billig essen und sich beraten lassen können. Dagegen läuft allerdings bereits eine Bürgerinitiative Sturm. „No“ steht seit Wochen an Balkonen zu lesen, als Zeichen des Protestes gegen das Lokal. Denn nach Ansicht der bürgerlichen Saubermänner werden dadurch nur noch mehr Prostituierte ins Viertel gelockt.
Inzwischen rührt es sich auch anderswo: In Katalonien trafen sich vor wenigen Tagen zahlreiche „Sexualarbeiterinnen“, um eine eigene Gewerkschaft zu gründen und auch die Transvestiten von Valencia haben bereits Statuten für eine Vereinigung vorgelegt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen