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Hört endlich auf zu trommeln!

■ Offener Brief an alle "Alternativ-UrlauberInnen

Offener Brief an alle „Alternativ„-UrlauberInnen

Um es vorweg zu sagen und zu schreiben: Ich habe Euch bewundert und beneidet, gehaßt und verachtet, Ihr habt mich angewidert und bereichert, aber jetzt enttäuscht und verwirrt Ihr mich nur noch.

In den Siebzigern seid Ihr mit klapprigen R 4s und VW -Bussen nach Griechenland aufgebrochen, um den dort immer noch lebenden Einheimischen beizubringen, daß man Kalamares auch nackt essen, in Dorfbrunnen baden und kiloweise Okraschoten, Gurken und Tomaten in einer Latzhose verstauen kann, ohne dafür auch nur eine müde Drachme abdrücken zu müssen. Aus lauter Gastfreundschaft haben die Griechen bis heute nicht dementiert, daß man einen Rucksack vier Wochen lang am Hafen von Piräus stehen lassen kann, ohne daß irgendjemand versuchen würde, zu überprüfen, ob es sich vielleicht um einen Müllsack handeln könnte. Ihr habt den Basarhändlern in Istabul bewiesen, daß die Umtauschkurse der Banken erstunken und erlogen sind und Euer Spaß selbst bei eins zu 20 noch aufhört, die Eß- und Trinkgewohnheiten der Türkei dermaßen revolutioniert, daß Döner Kebab aus West -Berlin reimportiert werden muß und einheimische Pommes frites keine Ausfuhrgenehmigungen mehr erhalten. Aus lauter Dank haben die Türken Eure Sprache besser gelernt als Ihr, sind Euch gefolgt und sogar bei Euch zu Hause geblieben, um Euch mit den Dingen zu verwöhnen, die Ihr nun gar nicht mehr so exotisch findet.

In den Achtzigern hat es Euch in die Ferienhäuser der Niederlande und Dänemarks gezogen, mit Euren WG-GenossInnen, Selbsterfahrungsgruppen, LebensabschnittsgefährtInnen und den unvermeidlichen Sarahs, Saskias, Benjamins, Olivers, Cora-Ophelias und Pierre-Philippes, ihren Windeln und Neurosen. Dort habt Ihr einen großen Bogen um die Einheimischen gemacht, Heinrich Heine gelesen oder Fahrräder gemietet. Oder Ihr seid nach Gomera oder Goa geflogen und habt dasselbe versucht als Alternativurlaub zu rechtfertigen, was Eure älteren MitbürgerInnen schon jahrelang auf Teneriffa, Mallorca oder in Terrormolinis getrieben haben: Faulenzen, Fressen, Saufen und Vögeln, nur anders eben oder mit gespieltem Angewidertsein.

Jetzt wollt ihr „anders“ reisen, „ökologisch“ und/oder „bewußt“. Ein Blick in die Wochenendausgabe der taz genügt, und man weiß, welche Signale die Völker dieser Welt demnächst vernehmen können: „Trommeln und Tanzen in Afrika“, 80 Stunden workshop für Rhythmusforscher, Tanz- und Trommelfreunde in Gambia für schlappe 3.180 DM. „Trommeln/Percussion“ auf Gomera in einer abgeschiedenen Ebene. „Trommeln unter Korkeichen in der Toskana“ mit Pepe und Kati. Was fehlt, ist nur noch der Trommelworkshop in den Souks von Damaskus oder den Katakomben eines indischen Tempels. Soweit mir bekannt ist, können die meisten AfrikanerInnen bereits trommeln. Also, was soll das?

Keine Demo in der letzten Zeit ohne Trommelei, und dann wollt Ihr mir auch noch im Urlaub mit Eurer alternativen Tierfellbearbeitung auf die Nerven gehen? Fahrt doch bitte, wie alle anderen, in die DDR solange es sie noch gibt, trommelt meinetwegen in irgendwelchen Stasikellern oder auch mal wieder für den Frieden (leise), aber fahrt nicht in die Länder, die ich schon früher wegen Euch gemieden habe und jetzt endlich für mich selbst entdecken will.

Wie wäre es zum Beispiel mit „Den Körper als Freund erleben“ an der Mosel mit sanften Körperübungen und Massage? Ich weiß zwar nicht, was das bringen soll, aber vielleicht lenkt es ja ein bißchen vom Trommeln ab. Für 860 DM könnt Ihr auch zwei Wochen nach Südschweden aufbrechen. Gesunde, ganzheitliche Erholung inklusive 14 Tage ununterbrochener Vollwertkost, Spaß und Energie erwarten Euch dort. Was bei mir eher zur Explosion sämtlicher sanitärer Einrichtungen führen würde, reicht bei Euch vielleicht zur Verminderung dieser zuckenden Handbewegungen, wenn irgendwo jemand irgendwie beginnt zu trommeln. (...)

Müßt Ihr denn wirklich überall auf der Welt trommeln, fasten, Theater spielen, schnitzen oder Akupunktur lernen? Macht doch mal was Praktisches oder Originelles! Packt Eure schwarzen Strumpfhosen in den Rucksack und stopft sie unter den letzten Tannen im Harz, strickt an Eure Radfahrerhosen den fehlenden Meter unter den Pappeln des Beueler Deiches, onaniert unter den Zedern des Irans, schafft viele Währungsunionen im Verhältnis eins zu eins oder bemalt Kokosnüsse auf den Fidschi-Inseln. Aber bitte hört endlich auf zu trommeln! Trommeln verkrümmt die Hände, verstopft die Ohren und jagt keinem Menschen mehr Angst ein.

Seid mutig und meldet Euch massenhaft auf meine Kleinanzeige unter der Rubrik „anders reisen“: Alternatives Triathlon an der grünen Linie zwischen Ost- und West-Beirut mit Skateboard, Trillerpfeife und Kalaschnikow. Nur Hinflugtickets, keine Lebensversicherung, Trommeln verboten. Den Körper als Heimat erleben oder als Freund, Tiefenentspannung und Kreativ-Ferienkurs, Bewegungsimprovisationen und totale Performance, Zeitsprünge mit Masken, Musik und Akrobatik, die sieben Themen des Lebens, T'ai Chi Chuan unter Extrembedingungen, Bildhauerei mit Marmor, Gips und Ton, alles integral und ganzheitlich, Verpflegung: Volksschmerzkost, Biodynamik, Fasten und Wandern.

Jan Jans Müntinga, Bonn

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