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Einblicke in das Musterland der Geldwäscher

Im Stuttgarter Endlosprozeß um Steuerbetrug und illegale Parteispenden wird es noch mal spannend: Marinerichter Filbinger und Dummerle Späth müssen antanzen / Bislang konnte sich die Politprominenz aus dem Sumpf herausziehen  ■  Aus Stuttgart Erwin Single

An wichtigen Sitzungen hat es dem Grandseigneur der deutschen Wirtschaft in seinem Leben wirklich nicht gefehlt. Seit knapp einem Jahr drückt der akurate Ex-Bosch-Manager Hans Lutz Merkle, ehrfürchtig und spöttisch „Gottvater“ genannt, nun auch noch die Anklagebank des Suttgarter Landgerichts. Merkle muß sich dort in einem der größten Parteispendenprozesse wg. Steuerhinterziehung verantworten. Anstatt still und schuldbewußt einen Strafbefehl zu akzeptieren, suchte der inzwischen 77jährige selbst den Prozeß. Er wollte sich nicht freiwillig zum Vorbetraften machen lassen. Denn, so Merkle, die Umwege der Parteienfinanzierung seien Finanzbehörden und Politikern allesamt bekannt gewesen.

Der „Philosoph“ unter den Wirtschaftsführern (Lieblingsthema: Unternehmer und Staat) fühlte sich von den Repräsentanten des Gemeinwohls weit mehr als getäuscht: Über Jahrzehnte hinweg hätten Politiker, allen voran von der CDU, ihn und andere Unternehmer bedrängt, Gelder für die Parteisäckel lockerzumachen; nun lasse man die früheren Spender nicht nur im Regen stehen, sondern „kriminalisiere“ sie auch noch. „Ich werde nicht allein vor Gericht sitzen“, drohte Merkle zu Beginn des Prozesses.

Vier Millionen D-Mark

Steuern hinterzogen

Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft wirft Merkle vor, zwischen 1971 und 1981 rund 6,4 Millionen DM an „Mitgliedsbeiträgen“ an die als „Berufsverband“ ausgewiesene „Gesellschaft zur Förderung der Wirtschaft Baden-Württemberg e.V.“ gezahlt und - als Betriebsausgaben zu Unrecht abgesetzt - damit knapp 4 Millionen DM Steuern hinterzogen zu haben. Bei der der CDU und der Landesregierung nahestehenden Förder-Gesellschaft (FG), deren Mitgründer und langjähriger Leiter Merkle selbst war, handelt es sich laut Anklage um eine Spendenwaschanlage. Die Staatsanwälte halten Merkle vor, er hätte wissen müssen, daß es eine Obergrenze für die Weiterleitung der Einnahmen solcher „Berufsverbände“ zugunsten „politischer Zwecke“ gibt - in Baden-Württemberg 25 Prozent. Tatsächlich seien weit höhere Anteile der Industriemoneten über die FG und weitere Tarnvereine in die Parteikassen geflossen. Den Löwenanteil kassierte die Union: Allein 42 Millionen DM gingen zwischen 1969 und 1980 an die Kassierer Hubertus Neuhaus und Wolfgang Fahr. Gespendet hatten rund 300 Unternehmen - Banken, Versicherungen, Automobilhersteller, Elektrokonzerne, Baulöwen und Textilfabrikanten. Nirgends wurden illegale Parteigelder systematischer und umfangreicher angesogen und eingesackt wie im Musterländle.

Der von nicht wenigen Spitzenpolitikern mit Bangen erwartete Prozeß sollte Details der dubiosen Spendenpraxis offenlegen. Doch im Südwesten scheint das alte Sprichwort in umgekehrtem Sinne zu gelten: Nehmen ist seeliger denn geben. Wie schon im Verfahren gegen Helmut Eberspächer, Chef einer Esslinger Automobilzulieferfirma und im Juli 1989 an gleicher Stelle zu 140.000 DM Geldstrafe verurteilt, werden die Spender gerupft, während die in die illegalen Parteienfinanzierung verwickelten Minister, Staatssekretäre, leitenden Finanzbeamten und getreuen Staatsdiener ungeschoren bleiben. Der Politprominenz blieb bislang jede Peinlichkeit erspart.

Merkle und die Moral

Merkle, dem eine „majestätische“ Ausstrahlung nachgesagt wird (Wahlspruch: Dienen und Führen), setzte sich derweil betont ruhig gegen die Vorwürfe zur Wehr. Er bestritt nicht, Geld für die Parteiportemonnaies gespendet zu haben; schließlich hätten ihm prominente Politiker immer wieder den Eindruck vermittelt, die Transaktionen seien Rechtens. An die Adresse der Politiker formulierte Merkle: „Wer andere beschuldigt oder schweigend zuläßt, daß sie zu Unrecht beschuldigt werden, um sich selbst vor Folgen zu schützen, handelt ohne Moral.“ Doch „Ehrenbezeugungen“ prominenter Politiker blieben aus.

Nach 59 Sitzungen kann es indessen jetzt noch einmal spannend werden: Auf Antrag von Merkles Verteidiger und nicht etwa der Staatsanwälte müssen morgen der ehemalige Ministerpräsident und furchtbare Marinestabsrichter a.D. Hans Filbinger und eine Woche darauf Regierungschef Lothar Späth in den Zeugenstand. Nach Auffassung der Verteidigung kennen Filbinger und Späth die Spendenpraxis „in jedem Detail“. Wäre dem so, müßte die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen den Ministerpräsidenten und seinen Vorgänger einleiten. Doch weit gefehlt: Die Ankläger erklärten vorab, die Sache sei verjährt. Außerdem lägen angeblich „keine ausreichenden Beweise“ vor, daß die Präsidiumsherren Einzelheiten der Zahlungsflüsse gekannt hätten.

Späth, Wörner, Schlee, Weiser, Teufel und Co.

Belastet wurde insbesondere CDU-Vorsitzender Späth von dessen ehemaligem Staatssekretär Gerhard Mahler. Mahler, einst von Späth abgesägt, sagte vor Gericht aus, die verschlungenen Geldwege in die Parteikasse seien Späth und den übrigen Parteivorständlern durchaus bekannt gewesen. Mahler zog noch weitere hochrangige CDU-Politiker mit hinein: Auf Späths Einladung fand im Juni 1980 ein Gespräch mit Teilen des FG-Vorstands statt, an dem auch Nato -Generalsekretär Wörner, Innenminister Schlee, Landwirtschaftsminister Weiser und CDU-Vize Teufel teilnahmen. Die CDU habe sich im Landtagswahlkampf völlig verkalkuliert, über 5 Millionen Schulden gemacht. Mahler erklärte, er habe von Präsidiumsmitgliedern gehört, „daß die Veranstaltung erfolgreich war“. „Mit System“ wurde dafür gesorgt, daß die Parteikasse von der heimischen Wirtschaft gefüllt wurde.

Mahlers offene Selbstbezichtigung („Warum wird gegen uns nicht ermittelt?“) blieb freilich bislang ein Einzelfall. Gleich reihenweise nahmen ansonsten willfährige Finanzbeamte und erinnerungsfaule Landespolitiker einen Blackout für sich in Anspruch oder waren zu jener Zeit krank beziehungsweise in Urlaub. Von dem Treiben jener Förder-Gesellschaft will keiner so genau gewußt haben. Manfred Rommel, einstiger Staatssekretär im Stuttgarter Finanzministerium, erklärte, man habe Wert darauf gelegt“, von „den Details möglichst wenig zu wissen“. Einen noch peinlicheren Auftritt gab Robert Gleichauf, bis 1980 oberster Finanzhüter im Ländle. Gleichauf meinte, er hätte sich „saumäßig geärgert“, hätte er gewußt, daß die Spendenobergrenze einfach übergangen wurde. Darauf Richter Teichmann: „Wir ärgern uns hier auch allmählich saumäßig.“

Unmut rührt sich derweil auch in der Öffentlichkeit, seit durchsickerte, das geplante öffentliche Hauptverfahren gegen den CDU-Geldbeschaffer Hubertus Neuhaus solle abgeblasen und mit einem schlichten Strafbefehl ad acta gelegt werden. Der Zigarettenfabrikant und frühere Parteischatzmeister war „so dappig“ (Zeuge Gleichauf) gewesen, per Brief bei der Industrie für Spenden über die Förder-Gesellschaft zu werben. 1982 durchsuchte die Staatsanwaltschaft Neuhaus‘ Räume und fand beim zweiten Anlauf Spuren einer „Feuerbestattung“ wichtiger Belege (Richter Teichmann).

Von einem Unrechtsbewußtsein scheint bei den Beteiligten wenig hängengeblieben zu sein. Am Rande des Prozesses wurde bekannt, daß die Firma Bosch die 1982 nachgeforderten 4 Millionen DM an Steuern von der Finanzverwaltung inzwischen wieder zurückerstattet bekam. Im März 1987 wurden per Ministererlaß die Behörden angewiesen, die Gelder an alle in die Spendenaffäre verwickelten Firmen zurückzugeben.

Daimler-Boß Zahn:

„Schlecht in Mathe“

Am 50. Verhandlungstag, einem kleinen Jubiläum, das Merkle still mit einer roten Rose am silbergrauen Rever beging, hielt der temperamentvolle Ex-Daimler-Boß Joachim Zahn eine lange Entlastungsrede auf Merkle. Sein Fazit: „Ein solcher Unternehmer betrügt nicht.“ Zahn, dessen Parteispendenverfahren wg. strafbefreiender Selbstanzeige eingestellt wurde, besaß angeblich von „Steuerproblemen“ bei den Parteispenden keinen blassen Schimmer; als Entschuldigung führte er an, er sei „schlecht in Mathe“ gewesen. Unternehmer haben bekanntlich anderes und Wichtigeres zu tun, als sich um derart mickrige Kleinigkeiten zu kümmern.

Merkles Verhältnis zu den Erfindern der „verdeckten Parteienfinanzierung“ ist unterdessen merklich abgekühlt. Bereits 1979 war der Altindustrielle, der sich selbst als „Konsvervativer“ versteht, aus der CDU ausgetreten. Zu jener Zeit hatten die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft begonnen. Trotz allem gilt für den schwäbischen Wirtschaftsführer weiterhin seine Lebensweisheit: „Unternehmer sind mit der Politik auf Gedeih und Verderb verbunden.“

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