Unpopulär und massenhaft gegen Deutschland

Fast 20.000 Menschen demonstrierten in Frankfurt ihr Unbehagen an der Vereinigung / Polizeiführung riskierte Massenpanik / Fensterreden tangierten die Veranstaltung nur am Rande  ■  Aus Frankfurt Heide Platen

„Deutschland? Nie wieder!“ - so oder ähnlich soll es Marlene Dietrich gesagt haben. So oder ähnlich sahen es auch die über 15.000 DemonstrantInnen, die am Samstag in einem kilometerlangen Demonstrationszug durch die Frankfurter Innenstadt zogen. Die Veranstaltung hatte am Vormittag mit einigen tausend Menschen, die sich durch Polizeiabsperrungen, abgeriegelte U-Bahnen und Kontrollen schlängelten, begonnen. Als sich der Zug zwei Stunden später formierte, verlängerte er sich - zur Begeisterung und Überraschung der VeranstalterInnen - in Windeseile. Winzige Links-Gruppierungen, Grüne, GewerkschafterInnen, SPDler, DDR -Gruppen, Frauenorganisationen und EmigrantInnen waren dem Aufruf gefolgt. Sie wollten sich auch durch die öffentliche Ankündigung der Frankfurter Polizei, sie werde beim „Auftauchen Vermummter“ „die Entscheidung vor Ort suchen“, nicht davon abhalten lassen, ihrem Unbehagen an einem wiedervereinigten Deutschland Ausdruck zu geben. In dem Demonstrationsgewimmel, zwischen Fahrrädern und Kinderwagen, erschien der autonome Block eher bunt als martialisch, Haßkappen hochgerollt.

„Nie wieder Deutschland“ war das unpopuläre Motto der Demonstration. Die meisten RednerInnen hielten sich an die Parole, warnten aber eher in Richtung der DDR vor den Folgen der wohl unvermeidlichen Wiedervereinigung. „Spätestens im Sommer“, sagte der Hamburger Arzt und Historiker Karl-Heinz Roth, werde die DDR-Bevölkerung die Konsequenzen ihres eigenen Ausverkaufs an die Großbanken zu spüren bekommen. Die belgische Resistance-Kämpferin Lucienne Rombaut schilderte ihre Angst vor einem neuen deutschen Nationalismus. Für Verärgerung sorgte der Grüne Rainer Trampert, der langatmig und lautstark wieder einmal seine Abrechnung mit der eigenen Partei zelebrierte. Er wurde mehrfach unterbrochen, weil DemonstrationsteilnehmerInnen anderer Gruppen auch zu Wort kommen oder wenigstens ihre nach einem Polizeieinsatz versprengten FreundInnen ausgerufen haben wollten.

Zu dem seit Beginn der Demonstration erwarteten Polizeieinsatz kam es nachmittags bei der Abschlußkundgebung auf dem Römerberg. „Laßt euch nicht provozieren“, hatte der Lautsprecherwagen der Demonstrationsleitung immer wieder gewarnt, wenn aus den Seitenstraßen heraus wie Eishockeyspieler uniformierte Einheiten der Polizei und des Bundesgrenzschutzes versuchten, die DemonstrantInnen zu teilen. Gegen 16.30 Uhr war es dann soweit. Der zivile Einsatzleiter - saloppe Windjacke und Höhensonnenbräune - am südlichen Ausgang des Römerberges, auf dem sich die Menschen dicht an dicht zu Tausenden drängten, sammelte seine Truppe. Er deutete lässig mit der Hand, die Beamten bildeten einen Keil und stürmten in der befohlenen Richtung in die Menge. Am anderen Ende des Platzes brach sich der gleiche Einsatzbefehl wenige Sekunden später Bahn - drei Wasserwerfer nahmen ihren Betrieb nach einer ähnlich kurzen Attacke auf. Pünktlich genug für die örtlichen und die überregionalen Nachrichtensendungen flogen einige Flaschen in Richtung Polizei. Einige Beweisstücke, ein paar sorgfältig neben einem Polizeiauto herausgebrochene und gestapelte Pflastersteine, blieben einsam und unbeachtet liegen. „Ein Skandal“, werteten auch konservative JournalistInnen diesen Einsatz, bei dem eine Massenpanik billigend in Kauf genommen worden sei und drohten mit einem „politischen Nachspiel“.

Die Demonstration endete nach sieben Stunden, gegen 18 Uhr. Ein iranischer Emigrant zog für sich sein Fazit. „Nie wieder Deutschland?“, für diese unrealistische Losung sei er zu pragmatisch. Dennoch, ein Gefühl der Sicherheit gebe es ihm schon, wenn fast 20.000 Menschen - wenn auch aus den vielfältigsten Überzeugungen heraus - „auf die Straße gehen und sich gegen Rassismus, Nationalismus und Sexismus vereinigen“. Kommentar auf Seite 4