: Grünes Zittern dauerte zwei Stunden
Prozentpoker im Düsseldorfer Landtag führt zu Schüttelfrost-Anfällen bei den nordrhein-westfälischen Grünen / Johannes Rau ein lockerer Sieger / Demokratie mit einem Monarchen ■ Von Bettina Markmeyer
Düsseldorf (taz) - Daß die Grünen bisher noch keinen Platz im Düsseldorfer Landtag hatten, ist nicht zu übersehen. Vereinzelt und auf der Suche nach Treffpunkten, die keiner genau kennt, eilen sie durch das Gedränge im Foyer des Landtages. Und auch zu Beginn dieses Wahlabends sah es zunächst nicht so aus, als ob die Grünen den Sprung ins Parlament sicher schaffen würden: Als Brigitte Schumann, Nummer 3 auf der grünen Liste, ihren ParteigenossInnen gerade erklärte, daß ihre Mutter nur deshalb grün wählt, weil ihre Tochter in den Landtag will, kam die erste Hochrechnung des ZDF. Danach sind die Grünen nicht drin: 4,5 Prozent hat die Forschungsgruppe Wahlen ihnen ausgerechnet. Wenig später hält die ARD mit 5,6 Prozent dagegen. Michael Vesper, der männliche Spitzenkandidat: „Wenn wir am Ende in der Mitte liegen, bin ich sehr zufrieden.“ Gegen 19 Uhr sieht es so aus, als hätten sie es geschafft. Nach den Hochrechnungen stabilisieren sich die Grünen knapp über der Fünf-Prozent-Hürde, und um 20 Uhr ist dann alles klar. Sie werden damit erstmals als vierte Fraktion im Landtag Platz nehmen. Höhn kündigt für das erste Jahr grüner Politik im NRW-Landtag den weiteren Kampf gegen die Müllverbrennung an. „Im sozialen Bereich wollen wir vor allem Verbesserungen an den Schulen, also mehr Lehrerinnen und Lehrer, und wir werden für mehr Kindergärten eintreten.“ Der Zustand ihrer Partei in NRW sei „sehr gut“, betont Höhn. Darauf vor allem, auf die fehlenden Flügelkämpfe und einen guten Wahlkampf, führt sie den Erfolg der Grünen zurück, entgegen aller Unkenrufe mit Blick auf die Bundespartei. Michael Vesper verspricht unterdessen, im neuen Landtag zu zeigen, „wie man Oppositionspolitik macht“.
Unverwandt wartet, wie eine Gefolgschaft, eine große Gruppe Neugieriger am Eingang des Landtages. Sie warten auf den Einzug des alten und neuen Ministerpräsidenten Johannes Rau. Der jedoch läßt auf sich warten. Nur einmal kommt Unruhe in die Gruppe. Der Herausforderer Norbert Blüm hat die Räume der CDU im ersten Stock des Landtages verlassen und kämpft sich in einem Pulk an den Rau-AnhängerInnen vorbei.
Als Blüm schließich vor den Mikrophonen der ARD erscheint, sieht er so aus, als hätte er es nötig, getragen zu werden. Erschöpft, mit wackliger Stimme und hektischen roten Flecken im Gesicht, bleibt ihm angesichts des noch leicht schlechteren Ergebnisses (36,1 Prozent, ARD) von 1985 nur zu sagen: „Johannes Rau hat die Wahl gewonnen, ich habe die Wahl verloren.“
Dann ist schließlich auch Johannes Rau erschienen, ganz der lockere Sieger. Daß die SPD mit 50,6 Prozent (ARD) etwa eineinhalb Prozent verloren hat gegenüber der letzten Landtagswahl, versetzt ihm „keinen Dämpfer. Ich habe heute abend keine Lust auf Dämpfer.“ Er sieht nur Anlaß zur „hellen Freude“. Und dankt dann - er ist und bleibt eben der Landesvater - mit weiter Geste sogar den MitarbeiterInnen der anderen Parteien für ihre Arbeit im Wahlkampf zum Nutzen der Demokratie. Ganz allgemein und väterlich, zu den Grünen jedoch kein Wort. Wie das so ist in dem bevölkerungsreichsten Bundesland mit der Langzeit-SPD -Regierung: Demokratie mit einem guten Monarchen an der Spitze. Wir in Nordrhein-Westfalen haben mal wieder gewählt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen