: Moskau bastelt am Friedensvertrag
■ Für eine sofortige und umfassende Souveränität soll Neudeutschland faktisch auf die Nato-Mitgliedschaft verzichten Keine Reparationszahlungen mehr / Nur individuelle Wiedergutmachung / Verhandlungen unter Beteiligung von höchstens 16 Staaten
Hamburg/Moskau (afp) - Die UdSSR bereitet offenbar „mit Hochdruck“ einen Friedensvertragsentwurf für Neudeutschland vor. Der Vorschlag werde von Experten der Internationalen Abteilung des KPdSU-Zentralkomitees und des Außenministeriums ausgearbeitet und möglicherweise bereits in der nächsten Woche US-Außenminister James Baker bei seinem Besuch in Moskau präsentiert, berichtet der Hamburger 'Spiegel‘. An den Verhandlungen sollten höchstens zwölf bis 16 Staaten beteiligt werden. Auf Reparationsforderungen wolle die UdSSR von vornherein verzichten. Im Gegenzug soll Gesamtdeutschland einer Nato-Mitgliedschaft entsagen.
Der stellvertretende Leiter der Internationalen ZK -Abteilung, Andrej Gratschow, bestätigte in einem Gespräch mit der französischen Nachrichtenagentur 'afp‘, daß die Sowjetunion Garantien von einem vereinten Deutschland erhalten wolle, die insbesondere dessen militärisches Potential begrenzen und den Verzicht auf nukleare Waffen bekräftigen. Allerdings sei für dieses Abkommen der Begriff „Friedensakte“ besser, betonte der hohe KPdSU-Funktionär. Damit hätte es nicht den bindenden Charakter eines Vertrags.
Bereits beim sowjetisch-amerikanischen Gipfeltreffen am Monatsende könnten die beiden Präsidenten Michail Gorbatschow und George Bush über den Vertragsentwurf beraten, so der 'Spiegel‘. Gorbatschows Willen, einen „Schlußstrich unter den Zweiten Weltkrieg“ zu ziehen, nehme damit offenbar konkrete Formen an. An den Vertragsverhandlungen sollen nach dem Willen der UdSSR neben den unmittelbaren Kriegsteilnehmern alle Nationen teilnehmen, „die direkt unter deutscher Besatzung zu leiden hatten“.
Das künftige Gesamtdeutschland soll nach dem Moskauer Entwurf grundsätzlich auf alle Massenvernichtungswaffen, also auch ABC-Waffen, verzichten. Auch jeder „militärischen Tätigkeit gegen Dritte“ soll der neue Staat entsagen. Dies würde ein Verbleiben in der heutigen Nato ausschließen. Im Gegenzug sei die Sowjetunion bereit, „ohne Wenn und Aber“ alle Vorbehaltsrechte in bezug auf Berlin und Deutschland als Ganzes abzugeben. Allerdings müsse zuvor noch eine befriedigende Lösung für die in der DDR stationierten sowjetischen Truppen gefunden werden.
In dem Abkommen soll ferner eine Verpflichtung zur individuellen Wiedergutmachung festgeschrieben werden. Dafür könnten beispielsweise die Ausgleichszahlungen einzelner deutscher Unternehmen an jüdische Zwangsarbeiter in Höhe von rund 2.000 DM als Vorbild dienen, so der 'Spiegel‘.
Auf die Stockungen bei den verschiedenen Abrüstungsverhandlungen angesprochen, antwortete Gratschow, das seien „normale und notwendige Denkpausen“. Die Veränderungen in Osteuropa hätten „Unverständnis und Zögerlichkeiten in Teilen der Öffentlichkeit“ ausgelöst, „die politische Ebene eingeschlossen“. Moskau werde aber in der Rüstungskontrolle keinen Rückzieher machen.
Eine Friedensakte müsse auch Garantien zum Grenzverlauf enthalten, sagte Gratschow, der auf höchster Ebene an der Festlegung der sowjetischen Außenpolitik beteiligt ist. Außerdem könne sie „Übergangsetappen fixieren und Fristen für den Abzug der Truppen der vier Siegermächte präzisieren“. Gefragt danach, was die sowjetische Seite mit ihrer Forderung nach einer „Neutralisierung Deutschlands“ genau meine, betonte Gratschow, das ziele nicht auf eine Neutralität im völkerrechtlichen Sinne, sondern auf eine „Neutralisierung der Bedrohungen“. „Erwartet wird doch, daß die Sowjetunion ihre Sicherheit vom guten Willen des Westens abhängig macht“, indem Deutschland in eine Nato integriert wird, „die eine gegen Osteuropa und die UdSSR gerichtete Kriegsmaschine bleibt“.
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