„Bayer ist mitverantwortlich für den ersten Freisetzungsversuch“

Gestern überreichten die „kritischen Bayer-Aktionäre“ 43 Gegenanträge für die Hauptversammlung des Bayer-Konzerns / Wir dokumentieren den Teil zur Gentechnologie  ■  D O K U M E N T A T I O N

Bayer treibt die Gentechnologie voran, indem sie die Lösung alter gesellschaftlicher Probleme mit neuer Technik in Aussicht stellt.

Bislang hat sich der Konzern jedoch um einen schonenden Umgang mit den natürlichen Ressourcen und die Herstellung von mehr sozialer und ökonomischer Gerechtigkeit wenig verdient gemacht. (...) Beispielhaft kann die verantwortungslose Geschäftspolitik und die zynische Argumentationsweise von Bayer zur Rechtfertigung der Gentechnologie deutlich gemacht werden: Nach Aussagen von Bayer ermöglicht die Gentechnologie, Verunreinigungen von Pharmaka wie zum Beispiel dem Blutgerinnungsfaktor VIII auszuschließen. Bayer geriet in den 80er Jahren in die Schlagzeilen, da die US-Bayer-Tochter Cutter Aids-verseuchte Faktor VIII-Präparate verkaufte. Die Verseuchung der Konzentrate wurde von Cutter jedoch wohlweislich in Kauf genommen, denn die Gefahr war längst firmenintern erkannt worden. Mit dem sogenannten CORE-Test zur Feststellung von Hepatitisinfektionen hätte ein Großteil der Aids-verseuchten Blutkonserven ausgesondert werden können, da eine hohe Korrelation zwischen beiden Krankheiten besteht. Die Einführung des Tests wurde jedoch von der Bayer-Tochter Cutter aus Kostengründen abgelehnt. Damit machte sich Bayer verantwortlich für die todbringende Infizierung zahlreicher Bluter-Patienten.

Unter anderem forscht Bayer mit Hoechst, der ehemaligen Schwester aus IG-Farben-Zeiten, in dem Pharma -Forschungszentrum Wuppertal an gentechnischen Methoden zur HIV-Protease-Hemmung, durch die die Vermehrung des Aids -Virus gehemmt werden kann. So vergrößerte Bayer letztendlich ein potentielles Geschäftsfeld durch die Verseuchung bluterkranker Menschen durch Aids-infizierte Konzentrate.

Ein Beispiel, das verdeutlicht, warum Bayer sich im Geschäftsjahr 1989 veranlaßt sah, eine Werbekampagne unter dem Slogan Kompetenz und Verantwortung laufen zu lassen.

Gesellschaftliche Akzeptanz

Die Verantwortlichen bei Bayer sind nach eigenen Angaben darüber bewußt, daß gesellschaftliche Akzeptanz eine wichtige Voraussetzung für das lohnenswerte Geschäft mit dem Leben ist. Bayer bemühte sich im Geschäftsjahr 1989 daher vermehrt um eine Aufbesserung des Images - so zum Beispiel durch ein sogenanntes „Presse-Forum“ zur Gentechnik am 27. ung 28. September 1989 in Wuppertal. Zwar wurde das Thema „Sicherheit“ aufgegriffen, aber trotzdem wurde die Frage nach der Risikoabschätzung mit der Antwort abgetan, daß andere Länder „realistischere und sachgerechtere Einschätzungen als wir Deutschen“ vertreten und daß „kritisch geprüft werden muß, ob manche Formen 'überhaupt noch angemessen seien'“.

Gefährlich wird die Argumentationskette jedoch dann, wenn die VertreterInnen der Forschung und Industrie mit beispielloser Arroganz die Meinung äußern, aufgrund ihres Fachwissens die alleinige Entscheidungskompetenz in Fragen der Sicherheit und Durchführbarkeit zu besitzen - und somit jede Kritik von Anfang an abblocken. In diesem Tenor äußerte sich zum Beispiel im April 1990 Prof. Stalinger in einer Diskussionsrunde in der ZDF-Sendung Abenteuer Forschung unter dem Thema Gefahr Gentechnik. Prof. Stalinger stellt exemplarisch die Verflechtung zwischen Staat, Kapital und Forschung dar. Er ist nicht nur Mitglied der Max-Planck -Gesellschaft und Leiter des universitären Instituts für Gentechnik in Köln, sondern auch Vorsitzender der Alibi -„Kontroll„-Institution ZKBS. In der ZKBS sitzen wohl VertreterInnen der Wirtschaft - zum Beispiel des Verbands der pharmazeutischen Industrie -, bekannte KritikerInnen der Gentechnik sind jedoch ausgeschlossen. Es ist noch nicht einmal gesichert, daß die Umweltschutzorganisationen wenigstens eine/n von den zwölf Sachverständigen berufen können.

Ein weiteres typisches Beispiel für die Verflechtung zwischen Forschung und Industrie ist das Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung in Köln-Vogelsang. Bayer schloß einen Forschungsvertrag mit dem MPI. Bestandteil dieses Vertrages ist die Unterstützung mit nicht zweck- oder projektgebundenen Finanzmitteln. Außerdem entsendet Bayer MitarbeiterInnen in das angeblich unabhängige Institut. Auf diese Weise nimmt Bayer auch dem MPI für Züchtungsforschung in Köln-Vogelsang ein Stück seiner Eigenständigkeit und Souveränität - ein Beispiel für alle.

Durch die Rolle, die der Konzern bei der Forcierung der Gentechnik spielt, unter anderem auch durch die Präsenz in verschiedenen Instituten, ist Bayer mitverantwortlich für den ersten legalisierten Freisetzungsversuch mit gentechnisch veränderten Organismen. Am 14.Mai 1990, genau am Tag der Übergabe dieses Gegenantrags zur Aktionärshauptversammlung bei Bayer, startet dieser Versuch. Freigesetzt werden sollen Petunien mit einem eingeschleusten Maisgen für die Blütenfarbe „lachsrot“. Die eigentliche Gefahr, die von diesem Versuch ausgeht, besteht in der Vorreiterrolle, die er übernehmen soll. Mit dem Argument, es handele sich um einen harmlosen Versuch - denn was ist schon gefährlich an lachsroten Petunien - wird der Weg für kommende, folgenschwere Versuche geebnet.

Aber der Petunienversuch verdeutlicht eine weitere Sachlage: unter dem Deckmantel „Grundlagenforschung“ und „Modellpflanze“ werden durchaus wirtschaftliche Interessen verfolgt. Denn werden springende Gene gefunden, kann man die Geneinheit unmittelbar als Genfähre einsetzen. Ist die wirtschaftliche Verwertbarkeit gegeben, wird mit Sicherheit alles darangesetzt, sie auch baldigst einzusetzen.

Das Geschäft mit dem Leben

Das Geschäft mit dem Leben ist lohnenswert. Der Markt für gentechnologisch erzeugte Produkte wird nach Riesenhuber im Jahr 2.000 ca. 144 Mrd. US-Dollar betragen. In diesem Sinne soll nach H.-J. Strenger, Vorstandsvorsitzendem der Bayer -AG, der Forschungsetat für Gentechnik von bislang 150 Mio. DM in den nächsten fünf Jahren auf 500 Mio. DM erweitert werden. Sigismund Schütz, Leiter des Bereichs Pharma bei Bayer, rechnet damit, daß sich weltweit schon 1995 fünf Mrd. US-Dollar Umsatz mit gentechnologischen Medikamenten erzielen lassen. (...)

Die Arbeiten von Bayer im Bereich der Saatgutproduktion belasten die Umwelt zwar weniger spektakulär, dafür aber langfristig irreversibel.

Der Konzern schloß Kooperationsverträge mit Saatgutunternehmen, um den Verkauf der neuen Sorten zu sichern. Diese enge Zusammenarbeit zwischen Pflanzenzüchtern und Industrie führt zu einer zunehmenden Monopolisierung des ohnehin begrenzten Saatgutmarktes mit der ökologischen Konsequenz, daß eine weitere Einengung der genetischen Vielfalt stattfindet. Wertvolle Genotypen und Sorten gehen verloren, die Generosion wird vorangetrieben.

Ökologische Konsequenzen bei Freisetzung

Aber über diese spezifischen Auswirkungen hinaus kann heute generell nicht vorhergesagt werden, welche unmittelbaren und mittelbaren ökologischen Konsequenzen und Gefahren mit der Freisetzung künstlicher Lebewesen in die Natur verbunden sind. Hierüber sind Forschung und Industrie, staatliche Komissionen und Beratungsausschüsse, KritikerInnen wie PropagandistInnen der Gentechnologie im Grunde einig. Auch wenn sie diese Tatsache sehr unterschiedlich bewerten.

Unbeantwortet bleiben Fragen folgender Art:

-Unter welchen natürlichen Bedingungen können welche Organismen überleben?

-Mit welcher Geschwindigkeit und Durchsetzungsfähigkeit können sie sich vermehren?

-Mit welchen anderen Organismen können sie in genetischen Austausch treten und so Eigenschaften übertragen, hinzugewinnen oder verlieren?

-Wie werden sie sich neuen Umweltbedingungen anpassen?

-Wie werden sie sich über das ursprüngliche Gebiet ihrer Freisetzung hinaus verbreiten?

-Wie werden sie das Gleichgewicht all der Ökotope beeinflussen, in die sie evtl. gelangen?

-In Verbindung mit welchen anderen Organismen können welche kooperativen und kumulativen Effekte erzielt werden?

-Welche anderen Organismen existieren überhaupt in der Umgebung, in die genetisch veränderte Organismen freigesetzt werden bzw. geraten können.

Sicher ist nur, daß durch die Anwendung der Gentechnologie nicht mehr rückgängig zu machende Konsequenzen entstehen können, die nicht kalkulierbar sind.